Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Programm für Radikale
Wer als Ruheständler nur eine Grundrente bezieht, ist nicht reich.
Wer von Hartz IV leben muss, ist Entbehrungen gewöhnt. Das bedarf auch keiner Diskussion. Worüber man hingegen streiten kann, ist die richtige Höhe der Sozialleistungen. Dieser Streit ist notwendig. Schließlich geht es darum, den Betroffenen ein bescheidenes, aber auskömmliches Leben zu sichern.
Was jedoch nicht geht, ist die Empfänger dieser Leistung pauschal als „arm“zu bezeichnen, wie das wieder in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung geschehen ist. Zum einen tut das den wirklich Armen Unrecht, die durch das soziale Netz gefallen sind. Viel schlimmer aber ist, dass mit dieser leichtfertigen Gleichsetzung das sehr gute deutsche Sozialsystem permanent diskreditiert wird.
Wer Steuerzahlern suggeriert, dass die von ihrem Geld finanzierten Sozialleistungen nicht mehr als ein staatlich verordnetes Armutsprogramm ermöglichen, frustriert ihre Solidarität. Wer der unteren Mittelschicht suggeriert, dass sie jederzeit in die Armut abstürzen kann oder ein Ruhestand in Armut droht, untergräbt ihr Vertrauen in den Staat und fördert ihre politische Radikalisierung. Wer von der Politik höhere Sozialleistungen fordert und dann die dadurch gestiegene Armut beklagt, muss sich nicht wundern, dass die Regierenden lieber darauf verzichten.
Eine Debatte über den Sozialstaat ist immer wieder nötig. Sie muss aber geführt werden, ohne ihn zu untergraben. Wer das tut, legt ein Programm für Radikale auf.