Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Deutsche Welle hat Ärger in Russland
Auslandssender wehrt sich gegen Vorwürfe, zu Demonstrationen aufgerufen zu haben
RAVENSBURG - Russlands Parlament erhöht den Druck auf die Deutsche Welle (DW). Dem deutschen Auslandssender wird vorgeworfen, zu Demonstrationen gegen die russische Führung aufzurufen. Anlass ist ein Tweet vom 27. Juli. Darin hieß es auf Russisch: „Moskau, komm raus!“An diesem Tag protestierten Moskauer gegen die Weigerung der Behörden, unabhängige oppositionelle Kandidaten zur Wahl des Moskauer Stadtparlaments zuzulassen. Die Demonstration war nicht genehmigt, 1400 Menschen wurden vorläufig festgenommen. Der DW-Tweet enthielt ein Video von der Kundgebung und die Meldung, dass ein Polizist einen DW-Korrespondenten zur Seite gestoßen hatte.
Das Außenministerium in Moskau warf der DW vor, sich in die inneren Angelegenheiten Russlands einzumischen. „Es ist unbestreitbar, dass der Post auf Russen zielt, weil er auf Russisch geschrieben ist. Wohin fordern sie auf, rauszukommen, wenn nicht zu einer ungenehmigten Demonstration? Das ist eine reine Agitation!“, kritisierte Ilja Timohow vom russischen Außenministerium. Er hob hervor, dass die DW vom deutschen Staat finanziert wird. Das Außenministerium bestellte die Geschäftsträgerin der deutschen Botschaft ein. Vertreter der russischen Regierung drohten mit rechtlichen Konsequenzen, sollte die DW sich noch einmal so verhalten wie am Tag der Demonstration.
Journalist festgenommen
Die DW weist die Vorwürfe zurück. Die Redaktion habe in keinem veröffentlichten Artikel oder Beitrag zur Teilnahme an den Protesten in Russland aufgerufen, sondern lediglich die Veranstalter zitiert, betonte DWSprecher Christoph Jumpelt. Die Vorwürfe sieht er in direktem Zusammenhang mit der vorübergehenden Festnahme eines DW-Journalisten in Moskau: Korrespondent Sergej Dik war von russischen Spezialkräften festgenommen worden, als er über die Proteste berichtete. Erst nachdem man seine Akkreditierung in der Polizeistation überprüft hatte, ließ man ihn frei. Dagegen hatte die DW heftig protestiert, Intendant Peter Limbourg sprach von der „Methode eines Polizeistaates“.
Auch der Deutsche JournalistenVerband und die Bundesregierung kritisierten die Festnahme des Reporters. Außenminister Heiko Maas (SPD) bezeichnete sie bei einem Treffen mit dem russischen Kollegen Sergej Lawrow Mitte August als „absolut nicht nachvollziehbar“. Den Vorwurf der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands wies er ebenfalls zurück: „Das ist nicht realistisch – weder in der Gegenwart noch in der Zukunft – zu glauben, dass Deutschland oder deutsche Medien Einfluss nehmen wollen auf die innenpolitischen Entwicklungen oder sie sogar initiieren wollen“, so Maas.
Lawrow hingegen drehte den Spieß um. Er kritisierte angebliche Behinderungen des russischen Staatsfernsehsenders RT (Russia Today) in Westeuropa, der mit RT Deutsch auch einen Ableger in der Bundesrepublik hat. Tatsächlich berichtet RT Deutsch allerdings ausgiebig über die deutsche Innenpolitik – wenngleich auf höchst umstrittene Weise.
Für den Deutschen JournalistenVerband ist auf dem russischen Staatssender „wiederholt einseitig oder verzerrt über Sachverhalte berichtet worden, die geeignet sind, die deutsche Gesellschaft zu spalten“, so DJV-Sprecher Sebastian Huld. RT Deutsch sei eines von vielen Instrumenten, „mit denen vom Kreml aus versucht wird, westliche Gesellschaften zu destabilisieren“.
Wie in Hongkong
In Russland wird genau der umgekehrte Vorwurf nun der Deutschen Welle gemacht – aber nicht nur ihr. Die US-Botschaft in Moskau wird kritisiert, weil sie ebenfalls Informationen zu einer Demonstration auf ihrer Webseite veröffentlicht hatte. Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, ließ wissen, ihre Regierung werde Washingtons Aktivitäten überprüfen, und zwar gemeinsam mit China. Denn auch die Proteste in Hongkong seien womöglich auf westlichen Einfluss zurückzuführen. Der Westen habe es sich zum Ziel gesetzt, Russland und China zu destabilisieren und ihre Entwicklung zu verhindern.
Beide Kammern des russischen Parlaments haben inzwischen Sonderausschüsse eingerichtet, um eine angebliche westliche Einflussname zu untersuchen. „Die Propaganda des Westens nimmt zu“, befand etwa der nationalistische Politiker Wladimir Schirinowskij. „Sie bilden Aktivisten in Litauen, Lettland und der Ukraine aus. Das Ziel ist, bei uns etwas wie in Kiew, Tiflis oder Bischkek zu veranstalten“– also einen Umsturz der politischen Verhältnisse.
Eine Forderung, vor dem Untersuchungsausschuss zu erscheinen, lehnt die DW ab. Man sei zwar gesprächsbereit, verantwortlich aber nur den deutschen Aufsichtsbehörden, hieß es zur Begründung. Der Ausschussvorsitzende Wasilij Piskarew droht dem deutschen Auslandssender nun mit einem Entzug der Akkreditierung.
Andrej Kolesnikow vom liberalen Moskauer Carnegie Zentrum kritisiert das Vorgehen der Duma. „Das Verhalten des Parlaments zeugt von Dummheit und Angst vor allem Ausländischen“, sagte der Experte in der Zeitung „Wedomosti“. Zu erwarten sei von dem Ausschuss rein gar nichts.