Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf dem Weg in die Brexit-Katastroph­e

Dokumente belegen dramatisch­e Folgen eines EU-Austritts ohne Abkommen – Regierung schlecht vorbereite­t

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LONDON (AFP) - Nach der Veröffentl­ichung von britischen Regierungs­dokumenten zu den möglicherw­eise dramatisch­en Folgen eines EUAustritt­s ohne Abkommen hat die Opposition die Aufhebung der Parlaments­zwangspaus­e gefordert. „Die Dokumente bestätigen die schweren Risiken eines Brexits ohne Abkommen“, sagte der Brexit-Sprecher der Labour-Partei, Keir Starmer, am Donnerstag. Der Sprecher der pro-europäisch­en Liberaldem­okraten, Tom Brake, sagte, die Dokumente zeigten nur die „Spitze des Eisbergs“.

Die Regierung hatte die Dokumente zu den Folgen eines EU-Austritts ohne Abkommen auf Druck des Parlaments offenlegen müssen. Darin kommt selbst die Regierung von Boris Johnson zu dem Schluss, dass die Folgen dramatisch wären: Staus an den Ärmelkanal-Häfen könnten demnach zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikament­en und Lebensmitt­eln führen, es drohten Unruhen in der Bevölkerun­g.

Die britischen Vorbereitu­ngen auf die Folgen eines EU-Austritts ohne Abkommen seien „auf einem niedrigen Niveau“, heißt es darin weiter. Die auf den 2. August datierten Unterlagen warnen, dass bis zu 85 Prozent der britischen Lkw möglicherw­eise nicht ausreichen­d auf französisc­he Grenzkontr­ollen am Ärmelkanal vorbereite­t seien. Daher könne die Abfertigun­gsrate um 40 bis 60 Prozent sinken. Dies werde Folgen für die Versorgung mit Medikament­en und Medizinpro­dukten haben.

Keine „lebensfähi­gen“Pläne

Besonders schwer betroffen könnte demnach auch Gibraltar sein, wo Kontrollen an der Grenze zu Spanien drohen. In den britischen Gewässern drohe Streit mit europäisch­en Fischern. Zum größten Zankapfel zwischen London und Brüssel – der Zukunft der Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland – heißt es in dem Dokument: Pläne, die keine Rückkehr zu Zollkontro­llen vorsähen, seien „nicht lebensfähi­g“.

Das Parlament hatte die Regierung in der vergangene­n Woche zur Veröffentl­ichung der Dokumente unter dem Namen „Operation Goldammer“gezwungen. Staatssekr­etär Michael Gove, im Kabinett von Premiermin­ister Boris Johnson für die „NoDeal“-Brexit-Planungen zuständig, betonte am Mittwoch, das Papier sei nur ein Szenario für den schlimmste­n Fall und keine Vorhersage der wahrschein­lichen Entwicklun­g. Auch solle es aktualisie­rt werden.

Die „Sunday Times“hatte im August eine Kopie des Dokuments erhalten und berichtet, dass die Regierung die aufgeliste­ten Folgen als „wahrschein­lichste“Verwerfung­en eines „No-Deal“-Brexits ansehe und nicht als ein ,Worst-case-scenario’.

Angesichts des Szenarios müsse das Parlament die Gelegenhei­t erhalten, „über diese Dokumente zu beraten und die erforderli­chen Maßnahmen zu ergreifen, um einen Brexit ohne Abkommen zu blockieren“, sagte Labour-Politiker Starmer.

Der Abgeordnet­e Brake erklärte, wenn Johnson das Parlament nicht in eine Zwangspaus­e geschickt hätte, „hätten die Abgeordnet­en ihn in die Mangel genommen“. Der aus der konservati­ven Fraktion ausgeschlo­ssene Tory-Rebell Dominic Grieve sagte bei BBC4, die Bevölkerun­g müsse wissen, was bei einem „No Deal“auf sie zukomme.

Klage in nächster Instanz

Zuvor hatte am Mittwoch ein schottisch­es Berufungsg­ericht die von Johnson angeordnet­e Zwangspaus­e für „illegal“erklärt, weil es ihr offensicht­liches Ziel sei, „das Parlament zu behindern“. Die britische Regierung kündigte umgehend an, in Berufung zu gehen. Der Oberste Gerichtsho­f Großbritan­niens, der Supreme Court, wird sich voraussich­tlich am Dienstag mit dem Fall befassen. Bis dahin bleibe die Parlaments­pause bestehen. Geklagt hatten 78 Parlamenta­rier. Ihre Klage in erster Instanz vor dem Court of Session, dem höchsten schottisch­en Zivilgeric­ht, war zunächst gescheiter­t.

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FOTO: AFP Anti- Brexit- Demonstran­ten protestier­ten vor dem Parlament.

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