Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Trudeau kämpft ums politische Überleben
Der Wahlkampf in Kanada hat begonnen. Für den Premier Justin Trudeau steht viel auf dem Spiel. Bis zur Wahl am 21. Oktober will er seine Landsleute davon überzeugen, dass er auch in den nächsten vier Jahren der Richtige ist an der Spitze der Regierung.
Trudeaus Wiederwahl ist dabei keineswegs gesichert. Aktuelle Umfragen in Kanada sagen ein Kopf-anKopf-Rennen seiner liberalen Partei mit der konservativen Opposition voraus. Trudeaus bescheidene Beliebtheitswerte hatten sich nach einer monatelangen Durststrecke mit Skandalen, Affären und negativen Schlagzeilen zuletzt leicht erholt.
Trudeau galt bei seiner Wahl vor vier Jahren lange als politischer Senkrechtstarter und liberale Lichtgestalt. Der Sohn von Ex-Premierminister Pierre Trudeau hatte versprochen, das Land zu modernisieren, Ureinwohnern mehr Rechte zu geben, den Klimawandel zu bekämpfen und Ka
nada für Zuwanderer und Flüchtlinge offen zu halten. Trudeau setzte sich mit Selfies und bunten Socken in Szene. Der jugendlich wirkende Trudeau sah sich als Gegenpol zum US-Präsidenten Donald Trump. Er trat bei Christopher-Street-Day-Paraden auf, besetzte sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen und legalisierte Marihuana.
Doch nach der Halbzeit der Legislaturperiode begann sein Stern zu sinken. Viele Kanadier zweifelten am politischen Gespür ihres Premiers. Bei einer offiziellen Indien-Reise trat Trudeau samt Familie in traditionellen indischen Gewändern auf, was ihm Hohn und Spott einbrachte. Eine Urlaubsreise auf die Privatinsel des Milliardärs Aga Khan in der Karibik endete als PR-Desaster.
Von solchen Verfehlungen hat Trudeau sich politisch nicht erholt. In der sogenannten SNC-Lavalin-Affäre hatte Trudeau seine damalige Justizministerin über Monate unter Druck gesetzt, um einem Unternehmen aus seiner Heimat Québec bei einem Korruptionsprozess aus der Patsche zu helfen. Der Skandal brachte ihm eine Strafe des kanadischen Ethikbeauftragten ein, rief die Bundespolizei auf den Plan, zwei seiner wichtigsten Ministerinnen verließen aus Protest sein Kabinett.
Affärengeplagter Premier
Im Wahlkampf wird nun viel davon abhängen, ob es Trudeau gelingt, diese Affären abzustreifen. Im Vordergrund seiner Kampagne stehen soziale, wirtschaftliche und ökologische Themen: Trudeau will die Armut bekämpfen, Familien stärker fördern und eine Art Klima-Steuer einführen. Profitieren könnte Trudeau von den guten Wirtschaftsdaten. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,7 Prozent und ist damit so niedrig wie seit 40 Jahren nicht mehr. Bei seinem Amtsantritt 2015 waren es noch sieben Prozent. Zudem trauen es ihm die meisten Bürger laut Umfragen am ehesten zu, das wichtige Verhältnis zu den USA und seinem unberechenbaren Präsidenten zu stabilisieren.
Mit seiner Jugendlichkeit wird Trudeau allerdings nicht mehr punkten können. Sein politischer Hauptgegner ist sieben Jahre jünger als er. Andrew Scheer, der Parteichef der Konservativen, ist 40 Jahre jung und tritt als Gegenmodell zu Trudeau auf. Scheer will Zuwanderung begrenzen, Umweltsteuern stoppen und umstrittene Projekte vorantreiben.
Bei vielen Kanadiern gilt Scheer als blass. Dennoch wird er als solide Alternative zum affärengeplagten Premier wahrgenommen. Umstritten sind Scheers konservative Ansichten bei Themen wie Abtreibung oder Homo-Ehe, obwohl er versprochen hat, die liberale Rechtslage in Kanada bei einem Wahlsieg nicht anzutasten.