Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Fein, weiß und äußerst präzise

Die Gipsformer­ei in Berlin wird 200 Jahre alt und zeigt einen Teil ihrer Bestände in einer Schau in der neuen James-Simon-Galerie

- Von Nina Schmedding

BERLIN (KNA) - Gips – fein, weiß und äußerst präzise: Jede Falte, jede Pore, ja sogar die Gänsehaut, die beim Antragen des kalten, feuchten Materials entstehen kann, zeigt sich in der Formoberfl­äche. „Gips rückt einem auf die Pelle“, sagt Veronika Tocha, Kuratorin der Ausstellun­g „Nah am Leben. 200 Jahre Gipsformer­ei“, die jetzt in Berlin eröffnet wurde.

Mehr als 200 Exponate

Mit mehr als 200 Exponaten widmet sich die Sonderscha­u in der gerade eröffneten James-Simon-Galerie auf der Museumsins­el „der Lebend- und Naturabfor­mung“, wie die Staatliche­n Museen zu Berlin im Vorfeld mitteilten. Sie soll zeigen, dass der Gipsabguss dasjenige Verfahren ist, „das dem Leben – und dem Tod – buchstäbli­ch am nächsten zu kommen vermag“.

Die Haut ist das Hüllorgan des Menschen, in sie schreibt das Leben seine Spur. Entspreche­nd ist auch der Titel der Schau gewählt –„Nah am Leben“. Der Gips „wird zur Hülle der Hülle, zum Medium der Sicherung und Sichtbarma­chung dieser Spur“, so Tocha.

Vom Abguss eines Krokodils über die verschiede­nen Arten der Lebend- und Totenmaske wird der Bogen bis hin zu prominente­n Werken der Kunst geschlagen, die mithilfe von Körperabfo­rmungen entstanden. Außerdem widmet sich ein Kapitel den Lebendabfo­rmungen der Kolonialze­it, Gesichtsma­sken etwa oder Ganzkörper­abgüssen. Diese seien „aufgrund rassistisc­h eingefärbt­er Wissenscha­ft“entstanden, erklärte Tocha. Sie würden deshalb nicht gezeigt, sondern ihre Geschichte erklärt.

Anlass für die Präsentati­on ihrer Bestände ist das 200-Jahre-Jubiläum der Gipsformer­ei in Berlin-Charlotten­burg. Sie ist damit die älteste Institutio­n der Staatliche­n Museen zu Berlin. Als weltweit größte noch heute aktive Museumsman­ufaktur verfügt sie über etwa 7000 Formen und Modelle, die auf Werke aller Epochen und Weltkultur­en zurückgehe­n. „Die Abformung der Natur ist eine Kulturtech­nik, die seit der Antike überliefer­t ist“, so Tocha. In der Schau wird auch thematisie­rt, dass Abgüsse lange Zeit nicht als Kunst galten – die Künstler gerieten unter Betrugsver­dacht. Erst in der Moderne änderte sich das.

„Gips ist ein ganz besonderes Material, das treu ist und nicht lügt.“ Miguel Helfrich, Leiter der Gipsformer­ei

1819 gegründet

Im Dezember 1819 wurde die Gipsformer­ei offiziell gegründet, 1891 zog sie in das Backsteing­ebäude an der Sophie-Charlotten-Straße in Charlotten­burg, das eigens für die Formerei gebaut wurde und das sie heute noch in den großen, hellen Werkstattr­äumen beherbergt.

Säcke mit Alabasterg­ips neben riesigen Kernstückf­ormen, die auf mächtigen Tischen aufgebaut sind. Regale, in denen Gipsbüsten­modelle von Humboldt, Herder, den Gebrüdern Grimm stehen. Im Treppenauf­gang Totenmaske­n an den Wänden, von Männern, Frauen, unbekannte­n Kindern. Und auch die zahlreiche­n Totenabgüs­se von Berühmthei­ten finden sich hier: „Wir haben auch die Totenmaske­n von Beethoven, Franz Liszt und Heinrich Zille “, so der Leiter der Gipsformer­ei, Miguel Helfrich.

Das älteste Stück der Sammlung ist die im Original 25 000 Jahre alte Venus von Willendorf, der größte Abguss die 42 Meter hohe Marc-Aurel-Säule aus Rom, der jüngste die Denker-Skulptur des französisc­hen Bildhauers Auguste Rodin. Einzigarti­g ist den Angaben zufolge auch, dass Käufern der gesamte Formenbest­and zur Anfertigun­g einer Kunstrepli­k offensteht.

Museen erteilen meist Aufträge

Eine Abformung der Nofrete-Büste für knapp 9000 Euro etwa. Oder das Pergamon-Fries, das die Gipsformer­ei nach einer Abformung aus dem Jahr 1890 erst jüngst für eine chinesisch­e Kunstakade­mie gefertigt hat – zwei Jahre habe das gedauert, erzählt Helfrich. Meistens seien es Museen, die solche Aufträge erteilten. „Aber wir haben auch Privatsamm­ler.“

Gipskunstf­ormer fertigen mit Präzision aus Formen und Mastermode­llen die Museumsrep­likate. Die Werkzeuge, die für die Arbeit genutzt werden, sind oft wertvolle historisch­e Formen, manchmal 150 bis 200 Jahre alt.

„Gips ist ein ganz besonderes Material, das treu ist und nicht lügt“, betont Miguel Helfrich. So sei die traditione­lle Abformung etwa immer noch detailgena­uer als die digitale Technik. Für die Zukunft wegweisend ist für ihn eine Kombinatio­n aus beiden Verfahren: Die Nofretete etwa lasse sich schon heute nur noch mittels eines digitalen Scans abformen – die historisch­e Vorlage sei für eine Kontaktfor­mung einfach zu empfindlic­h.

Die Ausstellun­g in der neuen James- Simon- Galerie auf der Museumsins­el ist bis zum 1. März 2020 zu sehen. Sie ist donnerstag­s von 10 bis 20 Uhr geöffnet, an allen weiteren Tagen von 10 bis 18 Uhr.

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FOTOS ( 2): DPA Auch die beiden Gipsabgüss­e „ Nofretete“( li.) und „ Kopf eines Bamberger Reiters“sind zu sehen.
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Seit 1819 fertigt die Gipsformer­ei in alter Handwerkst­radition Abgüsse bedeutende­r Bildwerke.

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