Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wenn die Klappe fällt
Es gibt Redensarten, über die man nicht länger nachdenkt, weil sie sich selbst erklären. Etwa Halt die Klappe! In der Umgangssprache ist Klappe ein saloppes Wort für Mund – wohl weil man diesen auf- und zuklappen kann. Und die Aufforderung Halt die Klappe! dürfte nach demselben Muster gebildet sein wie ähnlich ordinäre Anwürfe: Halt die Schnauze!, Halt den
Rand!, Halt dein Maul! oder – um noch die schwäbische Variante zu bemühen – Halt dei Gosch!
Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Reisen bildet bekanntlich, und so wuchs einem vor Kurzem im Dom St. Viktor von Xanten am Niederrhein eine entschieden sympathischere Interpretation dieser Redensart zu. Vor dem Chorgestühl mit seinen hölzernen Klappsitzen hatte die Kirchenführerin eine einleuchtende Erklärung parat: Da die Kleriker während des Gottesdienstes sich abwechselnd hinsetzten und wieder aufstanden, konnte es geschehen, dass der Sitz – wenn einer unachtsam war – herunterfiel, und das schallte dann gewaltig im weiten Kirchenrund. So war Halt die Klappe! nichts anderes als die klosterbrüderliche Bitte, im Interesse der gemeinsamen Andacht doch besser aufzupassen.
Xanten hat übrigens ein apartes Alleinstellungsmerkmal: Unter den 2056 deutschen Städten fängt nur eine mit dem Buchstaben X an. (Was nicht sonderlich verwundert, da X auch der zweitseltenste Buchstabe unseres Alphabets ist. Es wird nur noch geschlagen vom Q, mit dem allerdings vier Städtenamen beginnen: Quakenbrück, Quedlinburg, Querfurt und Quickborn.) Aber woher kommt der Name Xanten? Jener Viktor, nach dem der Dom benannt ist, war der Legende nach einer von rund 300 wegen ihres christlichen Glaubens in Xanten hingerichteten römischen Soldaten des 3. Jahrhunderts. Über ihren Märtyrergräbern – lateinisch
ad sanctos ( bei den Heiligen) – baute man die frühmittelalterliche Vorgängerkirche des Doms. Und aus diesem
ad sanctos wurde zunächst Santen, heute Xanten. Womit wir bei einem hochberühmten Xantener wären: In jenem wurde angeblich Siegfried geboren, der deutsche Nationalheld schlechthin. Zwar nimmt nur eine einzige Zeile in den rund 2400 Strophen des Nibelungenliedes darauf Bezug, aber für die heutige Vermarktung der Stadt leistet der hehre Recke unschätzbare Dienste – ganz Xanten ein Drachenhort.
Da kann ihm ein anderer Sohn der Stadt nicht das Wasser reichen, wiewohl er von eminenter Bedeutung war für das europäische Christentum. Um 1080 wurde Norbert von Xanten geboren, zunächst reicher Chorherr, dann Asket, Wanderprediger, Bischof von Magdeburg und letztlich beigesetzt in Prag. Auf ihn geht der Orden der Prämonstratenser zurück, den er 1120 im nordfranzösischen Prémontré – daher der Name – gründete und der auch in Oberschwaben bis zur Säkularisation 1803 eine sehr wichtige Rolle spielte. Einflussreiche Prämonstratenserklöster waren Rot an der Rot, Schussenried, Obermarchtal, Weissenau sowie Roggenburg im heutigen Bayerisch Schwaben, wo es seit 1982 wieder einen Konvent gibt.
Jener Norbert lebte als blutjunger Novize im Stift St. Viktor von Xanten. Vielleicht musste er dort auch manchmal die Klappe halten.
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