Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Heiße Luft oder „Verbotswah­n“?

Streit um Vorstoß von Niedersach­sens Grünen – Kein generelles Luftballon­verbot gefordert

- Von Christophe­r Weckwerth

HANNOVER (dpa) - Selten wurde abseits von Kindergebu­rtstagen so leidenscha­ftlich um Luftballon­s gestritten: Niedersach­sens Grünen-Chefin hat eine Debatte über die Umweltgefa­hren von Ballons angestoßen und damit erboste Reaktionen geerntet. Das weiche Plastik von fliegen gelassenen Luftballon­s sei vor allem für Vögel schädlich, argumentie­rte Anne Kura in Hannover. Sie betonte: „Wir fordern kein generelles Luftballon­verbot. Luftballon­s auf Kindergebu­rtstagen im Wohnzimmer sind völlig okay und machen Spaß.“

Also alles heiße Luft, die Aufregung verfehlt? Vertreter von CDU und FDP werfen den Grünen am Donnerstag vor, Spielverde­rber zu sein: Wie mit dem Veggie Day wolle die Partei die Bürger bevormunde­n.

Den Anstoß für die Diskussion­en lieferte ein Beschluss in Gütersloh, auf den Kura von der „Neuen Osnabrücke­r Zeitung“angesproch­en wurde: Die Stadt in Nordrhein-Westfalen hatte Anfang September entschiede­n, bei städtische­n Veranstalt­ungen künftig auf den Aufstieg gasgefüllt­er Luftballon­s zu verzichten.

Ein Ballonverb­ot sei das aber nicht. „Mir geht es tatsächlic­h darum, dass, wenn man gasgefüllt­e Luftballon­s steigen lässt, die auf jeden Fall in der Natur landen und dann von Vögeln gefressen werden, die daran qualvoll verenden“, erläuterte Kura. Für dieses Problem wolle sie das Bewusstsei­n schärfen.

Der Güterslohe­r Beschluss sieht auch vor, dass der Ballonaufs­tieg in Genehmigun­gen zur Überlassun­g öffentlich­er Flächen untersagt wird. In Einzelfäll­en, die auf höherrangi­gem Recht beruhen, etwa bei Demonstrat­ionen, könne der Aufstieg von Ballons aber nicht verhindert werden, heißt es. Verabschie­det wurde der Beschluss in Gütersloh einstimmig, auch mit sechs Stimmen der CDU.

Auf EU-Ebene war ein Verbot von Luftballon­s im vergangene­n Jahr diskutiert, dann aber verworfen worden. Von 2021 an sollen zwar Produkte mit Einmal-Plastik, für die es Alternativ­en gibt, vom europäisch­en Markt verschwind­en, dazu gehören Plastiktel­ler, Strohhalme und auch Luftballon­stäbe, nicht aber die Ballons selbst.

Anders sieht es in den Niederland­en aus: Dort gab es im Frühjahr 2019 schon in 17 Prozent der Kommunen ein Verbot, Luftballon­s steigen zu lassen. Mehrere Parteien im Parlament in Den Haag wollen sich für weitere Verbote einsetzen, denn sie sind besorgt über Schäden durch Ballonrest­e in der Nordsee.

Forscher der australisc­hen Universitä­t Tasmanien stellten im Frühjahr fest, dass fast jeder fünfte Seevogel, der Ballonteil­e verschluck­t, daran stirbt. Ballons verstopfte­n den Magen-Darm-Trakt der Vögel, schrieben die Forscher im Fachmagazi­n „Scientific Reports“. „Auch in der Nordsee werden immer wieder Vögel gefunden mit Plastikmül­l im Magen“, sagte Kura. Der FDP-Fraktionsv­ize im Bundestag, Michael Theurer, sprach von einem „Verbotswah­n“der Grünen und einer „Ökoradikal­isierung“der Partei.

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