Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Pränatale Bluttests – eine überlebenswichtige Debatte
Werdende Mütter in Deutschland können künftig vermutlich leichter mit einem vorgeburtlichen Bluttest feststellen, ob ihr Kind das Downsyndrom oder eine andere Chromosomen-Veränderung hat. Am heutigen Donnerstag will der gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen, Ärzten, Kliniken und Patientenvertretern darüber endgültig entscheiden, ob die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für den Test übernehmen. Abschließend muss dann das Bundesgesundheitsministerium noch sein Placet geben. In Kraft treten würde die Regelung erst Anfang 2021.
Inhaltlich hat sich ein Ja lange abgezeichnet. Der Vorsitzende des Gremiums, Josef Hecken, hat mehrfach betont, dass das Gremium einzig den Auftrag habe, das Verfahren wissenschaftlich-technisch zu bewerten – und den Einsatz als medizinisch begründet bezeichnet. Zugleich betonte er aber, dass mit den Bluttests fundamentale ethische Grundfragen berührt seien – allerdings müsse darüber die Politik befinden und nicht der Ausschuss.
Risikomanagerinnen
Der Test hat nämlich das Potenzial, das Erleben von Schwangerschaft und Geburt stark zu verändern. Die Pränataldiagnostik mache aus den Schwangeren Risikomanagerinnen, sagt die Medizinhistorikerin Barbara Duden. Sie müssten lernen, „ihr Kind wie ein Aktienpaket zu behandeln, das je nach Wachstumschancen gehalten oder abgesetzt werden soll“. Der „Spiegel“brachte es so auf den Punkt: „Der Test setzt Schwangerschaften in den Konjunktiv.“
Befürworter argumentieren, schon seit 1986 hätten Risikoschwangere einen Anspruch darauf, dass ihre Kasse eine Fruchtwasseruntersuchung oder eine Biopsie bezahle. Der neue Bluttest könne diese mit dem Risiko von Fehlgeburten behafteten körperlichen Eingriffe ersetzen.
Gegner wie die katholische Kirche und Behindertenverbände befürchten, dass Schwangerschaften auf Probe künftig die Regel werden, zumal schon bald nach weiteren Gendefekten gefahndet werden kann. Schwangerschaften könnten abgebrochen werden, bevor die Mutter eine Beziehung zum Kind aufgebaut oder die Umwelt die veränderten Umstände registriert habe, so die Befürchtung.
Seit 2012 gibt es den Gentest auf Trisomien auf dem deutschen Markt. Ein paar Tropfen Blut der werdenden Mutter können Aufschluss über Teile des Erbguts und den Gesundheitszustand des ungeborenen Kindes geben. Bislang müssen gesetzlich Versicherte diesen Test selbst bezahlen, manche Privatversicherungen übernehmen die Kosten schon.
Mehrfach hat sich der Bundestag mit den ethischen Folgen der Bluttests auseinandergesetzt. 2015 hatten sich in seltener Einmütigkeit 158 Abgeordnete aller Fraktionen an die Bundesregierung gewandt und ihre Sorge über mögliche Fehlentwicklungen in der vorgeburtlichen Medizin bekundet. Im vergangenen April stritt das Parlament in einer Orientierungsdebatte über die heiklen ethischen Fragen. Beschlüsse gab es nicht. Allerdings waren sich die meisten Abgeordneten einig, dass die Gesellschaft besser lernen müsse, Behinderungen zu akzeptieren und entsprechende Lebensverhältnisse zu schaffen. (KNA)