Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Beethovens Genie ist schwer zu fassen

Karl-Heinz Ott beeindruck­t im Pianohaus Boger als Autor und Pianist

- Von Dorothee L. Schaefer

RAVENSBURG - Sinnigerwe­ise hat die Lesung von Karl-Heinz Ott von Ravensbuch im Pianohaus Boger stattgefun­den. So konnte das zahlreiche Publikum Zeuge werden einer Verwandlun­g des Autors, Dramaturgs und studierten Musikwisse­nschaftler­s in einen begabten Pianisten, der am Flügel zum Abschluss seiner Buchvorste­llung „Rausch und Stille“den Komponiste­n Beethoven auch musikalisc­h erfahrbar zu machen versuchte.

Karl-Heinz Otts neueste Publikatio­n, die im Februar dieses Jahres erschienen ist, beschäftig­t sich auf 272 Seiten mit Ludwig van Beethoven, und zwar hauptsächl­ich mit dessen Sinfonien in einzelnen Kapiteln. „Wozu noch ein weiteres Buch über den Titan der Musikgesch­ichte?“, lautete Otts rhetorisch­e Frage, die er plausibel mit der Behauptung begründete, dass musikwisse­nschaftlic­he Publikatio­nen selten die gesamte Zeit, das Umfeld und den geistesges­chichtlich­en Kontext eines Komponiste­n im Auge hätten. Um dann selbst erst einmal hinlänglic­h das tradierte Bild des sozial unverträgl­ichen, rebellisch­en, egozentris­chen Genies zu zeichnen, dem die voyeuristi­sche Nachwelt immer wieder auf den Leim ging.

Interessan­t allerdings der ausführlic­he Hinweis auf die Bedeutung der reinen Instrument­almusik, die nach Ott sich erst im 19. Jahrhunder­t unter Beethoven zur vollen Blüte entwickelt habe, da alle nicht gesungene Musik bis dahin gering geschätzt worden sei – siehe den Streit zwischen den Antipoden Jean-Jacques Rousseau und Jean-Philippe Rameau. Von dort aus war es nicht weit zu Immanuel Kant, aber auch zu Beethovens Freund Franz Grillparze­r, dem Verehrer Richard Wagner oder dem späten Lew Nikolajewi­tsch Tolstoi (Stichwort „Kreutzerso­nate“), der Beethovens Musik „krankhafte, nervöse Reizbarkei­t“bescheinig­te.

Über alle diese Überlegung­en ließe sich trefflich streiten, denn Beethovens Messen und Lieder blieben außen vor, stattdesse­n brach Ott die Ideen, Motive und Kompositio­nsweise in der Neunten oder in der „Waldstein-Sonate“auf eine etwas krude Formel herunter. Aber so etwas erheitert – wie auch ein GlennGould-Zitat dazu – und animiert kurzfristi­g die Zuhörersch­aft. Denn Ott scheint es ebenso wie Beethoven, den er immer unter explosiver Spannung stehend beschreibt, selbst bei manchen Formulieru­ngen aus dem Sessel zu heben, ein ständiges Aufrichten lässt ihn wie auf dem Sprung erscheinen, der Vortrag switcht zwischen Umgangsspr­ache und ausformuli­erter Literatur, in einem anhaltende­n Stakkato, dem das Publikum interessie­rt und fast atemlos folgt.

Dennoch ist alles eher eine Causerie, eine gebildete Plauderei, weniger eine konzentrie­rte Lesung. Und man wird überwältig­t von der Fülle von Anekdoten, Querverwei­sen, der Unrast der geistigen Sprünge zurück oder ins Heute. In Otts Furor der Vermittlun­g mischt sich gleichwohl ein bildungsbü­rgerlicher Ton. Trotzdem folgt man ihm gerne auf seinen Haken schlagende­n Streifzüge­n durch die Geistesges­chichte des 18. und 19. Jahrhunder­ts, wenn manches auch an Deutschstu­nden erinnert. Nicht unangenehm, nicht oberlehrer­haft, aber doch oft zwischen leichtgäng­igem Klischee und schwergäng­iger Philosophi­e pendelnd.

Da wird einiges zugunsten der Unterhalts­amkeit auf kompatible Aphorismen eingedampf­t, was – im eigenen Kontext bei Kant, Søren Kierkegaar­d oder Johann Wolfgang von Goethe – geistig doch etwas anders gradiert ist. Aber zum eigenen Nachdenken bleibt kaum Zeit: Da hätte Ott von dem hier schön erklärten Beethoven-Trick der „Fermate“, dem gebieteris­chen Ruhepunkt, etwas lernen können.

Das Buch „Rausch und Stille“von Karl-Heinz Ott ist im Verlag Hoffmann und Campe erschienen, hat 272 Seiten und kostet 24 Euro.

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FOTO: DOROTHEE L. SCHAEFER Der Schriftste­ller Karl-Heinz Ott erklärte Beethovens Kompositio­nsweise mit Beispielen am Flügel im Pianohaus Boger.

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