Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Sonntags einst
Der Sonntag war einst ein festlicher Tag. Die Familie frühstückte gemeinsam, Eltern und Kinder trugen das „Sonntagshäs“und mühten sich um eine harmonische Stimmung. Die Kirchen waren sonntags beim Gottesdienst um 9 Uhr voll, ebenso bei der Messe um 10.30 Uhr. Es folgte das gemeinsame Mahl zu Hause, gelegentlich auch in einer Gastwirtschaft, damit die Hausfrau nicht jeden Tag in der Küche hantieren musste.
Nachmittags waren gemeinsame Spaziergänge angesagt, gefolgt von ausführlichen Gesprächen bei Kaffee und Kuchen. Mitunter gab es auch Besuche von oder bei Verwandten. War man sich geneigt und nicht geplagt von verwandtschaftlichen Zwistigkeiten, folgte ein gemeinsames Vesper. Die Kids blieben unter sich, spielten miteinander und fanden es gut, wenn die Erwachsenen Lust zum Singen alter Volkslieder und Erzählen von Episoden aus ihrer Jugendzeit verspürten. Solche Sonntage trugen zum Zusammenhalt bei, vermittelten das Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben, und prägten sich ein.
Später, als die Kids in der Pubertät waren, kam ihnen so ein Sonntag wie der Horror vor. Sie schwänzten den Gottesdienst, saßen missgelaunt am Mittagstisch, verweigerten die Teilnahme an Spaziergängen oder Verwandtenbesuchen und fanden singende Eltern und Verwandte peinlich. Waren die Eltern nun am Sonntagnachmittag allein unterwegs, lief zu Hause der Plattenspieler. Roy Orbinson schmalzte „Pretty Woman“, Elvis röhrte, die Stones fanden nirgends Befriedigung und die Beatles drückten aus, was die Kids in Abwesenheit ihrer Eltern empfanden : „I feel fine.“