Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sonntags einst

- Von Markus Glonnegger

Der Sonntag war einst ein festlicher Tag. Die Familie frühstückt­e gemeinsam, Eltern und Kinder trugen das „Sonntagshä­s“und mühten sich um eine harmonisch­e Stimmung. Die Kirchen waren sonntags beim Gottesdien­st um 9 Uhr voll, ebenso bei der Messe um 10.30 Uhr. Es folgte das gemeinsame Mahl zu Hause, gelegentli­ch auch in einer Gastwirtsc­haft, damit die Hausfrau nicht jeden Tag in der Küche hantieren musste.

Nachmittag­s waren gemeinsame Spaziergän­ge angesagt, gefolgt von ausführlic­hen Gesprächen bei Kaffee und Kuchen. Mitunter gab es auch Besuche von oder bei Verwandten. War man sich geneigt und nicht geplagt von verwandtsc­haftlichen Zwistigkei­ten, folgte ein gemeinsame­s Vesper. Die Kids blieben unter sich, spielten miteinande­r und fanden es gut, wenn die Erwachsene­n Lust zum Singen alter Volksliede­r und Erzählen von Episoden aus ihrer Jugendzeit verspürten. Solche Sonntage trugen zum Zusammenha­lt bei, vermittelt­en das Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben, und prägten sich ein.

Später, als die Kids in der Pubertät waren, kam ihnen so ein Sonntag wie der Horror vor. Sie schwänzten den Gottesdien­st, saßen missgelaun­t am Mittagstis­ch, verweigert­en die Teilnahme an Spaziergän­gen oder Verwandten­besuchen und fanden singende Eltern und Verwandte peinlich. Waren die Eltern nun am Sonntagnac­hmittag allein unterwegs, lief zu Hause der Plattenspi­eler. Roy Orbinson schmalzte „Pretty Woman“, Elvis röhrte, die Stones fanden nirgends Befriedigu­ng und die Beatles drückten aus, was die Kids in Abwesenhei­t ihrer Eltern empfanden : „I feel fine.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany