Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Alles ins Auto gepackt
Sebastian Vettel gewinnt den Großen Preis von Singapur – Leclerc hadert mit Ferraris Strategen
SINGAPUR (dpa/SID) - Erlöst von seiner Leidenszeit saugte Sebastian Vettel in seiner Glücksnacht von Singapur jeden Moment auf dem Siegerpodium auf. 392 Tage hatte der FerrariStar warten müssen, ehe er sich am Sonntag endlich wieder als Gewinner eines Formel-1-Rennens fühlen durfte. „Ich habe nicht an mir gezweifelt“, beteuerte der 32-Jährige, als er mit einer fehlerlosen Fahrt auf dem Marina Bay Street Circuit alle Kritiker zum Schweigen gebracht hatte. Dass Vettel dabei auch seinem aufmüpfigen Stallrivalen Charles Leclerc den Sieg-Hattrick verdorben hatte, dürfte dem Hessen insgeheim erst recht Genugtuung verschafft haben.
Bei seinem fünften Singapur-Erfolg half Vettel indes eine Fehlkalkulation der Ferrari-Strategen: Beim einzigen Reifenwechsel durfte Vettel als Erster an die Box – und blieb dann unerwartet vor Leclerc, als dieser eine Runde später stoppte. Schon im Rennen beklagte der Monegasse („Was zur Hölle?! Ich verstehe diese Strategie überhaupt nicht“) dies als „unfair“, im Ziel ging er zunächst grußlos an Vettel vorbei. „Es ist schwierig, einen Sieg auf diese Art zu verlieren“, betonte Leclerc, der von der Pole Position gestartet war. Nach seinen jüngsten Erfolgen in Spa und Monza fühlte sich Platz zwei beim Flutlichtspektakel für ihn wie ein Schlag ins Gesicht an.
Auch WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton war schwer verstimmt. Die Mercedes-Taktiker hatten seinen Boxenstopp viel zu lange herausgezögert, sodass der Brite nur als Vierter hinter dem Niederländer Max Verstappen ins Ziel kam. „Das schmerzt. Wir hätten leicht gewinnen können“, sagte der Titelverteidiger. Seine WMFührung baute der 34-Jährige jedoch weiter aus, da Teamkollege Valtteri Bottas nur Fünfter wurde und als Gesamtzweiter sechs Rennen vor Ultimo schon 65 Punkte zurückliegt.
Für Sebastian Vettel ist der so sehr ersehnte Titel mit Ferrari bei nun 102 Zählern Rückstand auf Hamilton zwar längst wieder abgehakt, doch an diesem Abend war das Nebensache. Auf dem Cockpit seines Ferrari stehend streckte der Heppenheimer den Siegerfinger gen Himmel, das krachende Feuerwerk untermalte den roten Jubel. „Ich bin sehr glücklich“, sagte Vettel. „Es war ein großartiges Rennen.“
Zuspruch der Fans bringt Energie
Nach seinem peinlichen Dreher nebst Zeitstrafe in Monza vor zwei Wochen waren dem viermaligen Weltmeister seine Fehler in den wechselhaften Ferrari-Jahren immer wieder vorgehalten worden. Mit dem raschen Aufstieg seines jungen Teamkollegen Leclerc wurde Vettel schon wie ein Auslaufmodell behandelt. „Ich musste da nicht das erste Mal durch, und es wird auch nicht das letzte Mal sein“, sagte der Deutsche. Briefe und Botschaften von Fans, die in der schweren Zeit mit ihm fühlten, hätten ihm Energie verliehen. „Wenn man diese Zeilen liest, dann berührt mich das. Das hat mir die Stärke und den Glauben gegeben. Heute habe ich das alles ins Auto gepackt.“
Bei seinem Triumph in Singapur zeigte der Routinier seine ganze Klasse. Er schlug zu, als sich nach 20 Runden die Gelegenheit bot, und behielt auch in den drei Safety-Car-Phasen am Ende des Rennens die Nerven. „Ich wusste, dass die Dinge sich auch für mich wieder bessern würden. Ich bin froh, dass es eher früher als später war“, sagte Vettel nach seinem ersten Sieg seit dem 26. August 2018, dem 53. seiner Karriere.
Es war das erste Mal, dass ein Team an der Marina Bay einen Doppelerfolg feiern konnte. Seit August 2017 hatte die Scuderia auf so ein Ergebnis warten müssen. Das Resultat war umso überraschender, als zuvor alle mit einem Duell zwischen Mercedes und Red Bull gerechnet hatten, weil Ferrari bislang auf kurvenreichen und eher langsamen Strecken – wie eben Singapur – große Schwächen gezeigt hatte.
Und doch war die Freude im roten Lager nicht ungetrübt. Der schwer enttäuschte Leclerc meldete Redebedarf an. Teamchef Mattia Binotto indes machte sich keine Sorgen um einen eventuellen Knall in der Teamsitzung. „Das wird ganz einfach, er wird schon verstehen, was dahinter stand“, sagte der Italiener.
Schon nächste Woche in Sotschi wird sich zeigen, wie nachtragend Charles Leclerc wirklich ist.