Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eine Kämpferin für Frauen im Priesteramt
Thea Münch gab ihren Lehrerberuf auf, um Priesterin zu werden – und stieß auf Widerstände
BAIENFURT/LAUPHEIM - Rom, im Herbst 1962: Eine junge Lehrerin, Anfang 30, nimmt an der Pressekonferenz zur Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils teil. Sie meldet sich und fragt, ob denn auch Frauen zum Konzil geladen sind. „Daraufhin wurde es im Saal mucksmäuschenstill“, erinnert sich die heute 89-jährige Josefa Theresia Münch, geboren in Baienfurt und Vorkämpferin für die Rechte von Frauen in der katholischen Kirche.
Die Antwort von Walther Kampe, Pressebeauftragter der deutschen Bischöfe, lautet damals: „Vielleicht beim dritten Vatikanischen Konzil.“Für Münch kein Trost: „Da liegen ja meist 100 Jahre dazwischen.“
Ihr Auftritt bei der Pressekonferenz ist nicht das erste Mal, dass sie für die Rechte der Frauen in der katholischen Kirche eintritt, doch ihre Frage, ihr unermüdlicher Einsatz und das Engagement anderer Frauen werden dazu beitragen, dass in der dritten und vierten Phase des Konzils auch Frauen unter den Teilnehmern sind. Ein paar Jahre lang scheint vieles möglich – vielleicht sogar Frauen im Priesteramt? Dafür streitet Josefa Theresia Münch, kurz Thea Münch, ihr Leben lang. Schon vor dem II. Vatikanischen Konzil, das bis 1965 andauerte, schrieb sie an Päpste, Bischöfe und Kardinäle, um ihr Anliegen vorzutragen.
Josefa Theresia Münch war langjährige Realschulrektorin in Laupheim. In ihrem Zimmer im dortigen Heilig-Geist-Hospital empfängt die 89-Jährige Besucher, die sich mit ihr über ihr Engagement unterhalten wollen. Zwei Frauen des Katholischen Frauenbunds sind extra aus Münchs Geburtsort angereist; die Kölner Ordensschwester Luzia Wetzel, ebenfalls Baienfurterin, nutzt ihren Urlaub, um Thea Münch wiederzusehen. Münch trägt ein leuchtendes, magentafarbenes Kleid und führt ihre Gäste auf den Balkon des Seniorenzentrums. „Dass ich bei der Pressekonferenz in Rom dabei sein konnte, war göttliche Fügung“, sagt sie im Rückblick.
1962 arbeitet sie als Lehrerin in Neukirch und unterrichtet auch die Kinder des Bürgermeisters. Deren Onkel ist Pater in Rom. Er erkennt Münchs Interesse am Konzil und ermöglicht ihr den Zugang zum Konzilsgottesdienst und zu der Pressekonferenz. Thea Münch ist vorbereitet und kennt sich in theologischen Fragen bestens aus. In ihrer Familie hat Religion stets eine wichtige Rolle gespielt. Gemeinsam mit acht Geschwistern wächst sie im Forsthaus in Baienfurt auf. Auf Fürsprache ihres Rektors darf sie die Mädchenoberschule in Ravensburg besuchen.
„Schon damals wurde über Priestermangel gejammert, und wir sollten für mehr Priester beten“, erinnert sie sich. Doch Thea Münch wollte nicht nur beten, sondern etwas tun. Ausschlaggebend für ihren späteren Einsatz ist dann ein Plakat, das sie an der Kirche in ihrer Heimatgemeinde sieht. Darauf abgebildet: Ein kreuztragender Christus und die Worte „Hilf mir und werde Priester“. Münch fühlt sich angesprochen und aufgefordert, Priesterin zu werden. „Ich wusste nicht, dass es so schwer ist“, sagt sie heute. Als sie das Plakat sieht, ist sie bereits verbeamtete Lehrerin, die Arbeit gefällt ihr. Doch sie gibt ihren Beruf auf und studiert Theologie in München und Tübingen. Angebote, nach ihrem Studium zu promovieren, lehnt sie allerdings ab. Die Aussichten auf eine Stelle sind schlecht, sodass sie in den Schuldienst zurückkehrt.
Thea Münch hat es sich auf ihrem Rollator bequem gemacht. An manche Ereignisse erinnert sie sich nicht mehr so gut, andere Erlebnisse stehen ihr noch klar vor Augen, wie die Teilnahme an der Pressekonferenz im Vatikan. Sie spricht langsam und bedächtig. Zwar kann sie sich nicht mehr an all ihre Argumente für Frauen im Priesteramt erinnern, doch ihre Haltung ist die gleiche geblieben.
Zwischen 1962 und 1965 fährt sie während der „Hopfenferien“in Neukirch jeden Herbst nach Rom. Insgesamt verfasst sie sieben Eingaben, die sie während des Konzils einreicht: zur Priesterweihe für Frauen, zu Ministrantinnen, zur inklusiven Sprache in der Liturgie, zur Konzilsteilnahme von Theologinnen, zur geplanten Neuübersetzung der Bibel und zur Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft. „Wenn ich Glück hatte, erhielt ich wenigstens ein freundliches Antwortschreiben, aber ohne konkreten Bezug zu meinem Anliegen.“
2018 erscheint das Buch „Katholikinnen und das Zweite Vatikanische Konzil“, Herausgeberinnen sind die Theologinnen Regina Heyder und Gisela Muschiol. Darin sind die sieben Konzilseingaben von Thea Münch veröffentlicht. Sie zeigen, dass die junge Frau fundiert und theologisch begründet argumentierte. „Ich bin ganz überrascht, was ich da alles vorgebracht habe“, meint Münch.
Sie geht die Frage nach Frauen im Priesteramt pragmatisch an: „Wir müssen das Argument des Priestermangels bringen“, ist sie überzeugt. Sie befürchtet, dass die Begründung einer Mitstreiterin, der Schweizer Juristin Gertrud Heinzelmann, die sich auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau beruft, dem Anliegen eher schadet als nützt.
Münch setzt sich – vergeblich – dafür ein, dass die Stelle im Kirchenrecht, an der davon die Rede ist, dass nur getaufte Männer (vir baptizatus) Priester werden dürfen, in getaufte Person (persona baptizata) umgewandelt wird. Für Münch ist nicht „Mann sein“der entscheidende Punkt, sondern getauft sein. Sie ist überzeugt, dass die Bibel in einer, wie sie es nennt, „männerrechtlichen Gesellschaft“entstand. „Deshalb hat man Frauen in der Bibel kaum erwähnt und dort, wo sie erwähnt werden, darüber schweigt man auch heute meistens noch.“
Die Ordensschwester Luzia Wetzel spricht Thea Münch ihre uneingeschränkte Bewunderung aus. Sie wendet sich direkt an ihre Freundin: „Du bist eine große Kämpferin. Ich selbst bin das nicht, aber ich war und bin ganz auf deiner Seite.“
Regina Heyder, Mitherausgeberin des 2018 erschienenen Buchs, schätzt die Rolle Münchs und anderer Aktivistinnen beim Konzil als sehr wichtig ein. „Durch die Fragen und die Briefe an die Bischöfe ist eine Dynamik entstanden“, sagt Heyder. Die Beteiligung von Laienhörerinnen im dritten und vierten Konzilsjahr wäre sonst undenkbar gewesen. „In den 1960er-Jahren hat sich kirchlich für die Frauen sehr viel getan“, weiß die Theologin. Danach habe sich zwar die Gesellschaft weiterentwickelt, die Kirche jedoch kaum. 1994 sprach sich Papst Johannes Paul II. endgültig gegen Frauen im Priesteramt aus. Endgültig deshalb, weil die Aussage eines Papstes seit dem I. Vatikanischen Konzil als unfehlbar gilt. „Er hat damit der Kirche nur geschadet“, meint Münch dazu.
Im Jahr 2019 gibt es eine neue Bewegung, Maria 2.0, die auf die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche aufmerksam macht. Luzia Wetzel ist es ein Anliegen, dass die Frauen, die sich in der Bewegung engagieren, wissen: „Sie sind nicht die Ersten. Es gibt Menschen, die lange vor ihnen den Weg geebnet haben.“
Verbittert, dass ihre größte Forderung bisher nicht realisiert wurde, ist Thea Münch nicht, höchstens ein wenig resigniert. Ihr tut es gut zu hören, dass andere katholische Frauen auf ihrer Seite sind. „Und ganz wirkungslos waren meine Eingaben ja nicht“, sagt sie mit einem Schmunzeln. Ein Erfolg: Die liturgische Ansprache im Gottesdienst hat sich geändert und schließt nun mit der Anrede „Brüder und Schwestern“auch Frauen mit ein. Eine Sache war Thea Münch immer wichtig: die Kirche nicht zu spalten. In der katholischen Kirchengemeinde in Laupheim spielte sie die Orgel, Streitgespräche mit dem hiesigen Pfarrer führte sie nicht. Sie selbst hat ihren Frieden gefunden. „Ich spreche von der Heiligen-Geist-Person“, sagt Münch – und fügt nach einer Pause hinzu: „Und wenn ich privat bete, bete ich Vater Mutter im Himmel.“