Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Studie zu Methadon als Krebsmittel
Für ihre Forschungen wurde die Ulmer Chemikerin Claudia Friesen kritisiert – Nun wird ihre Arbeit gefördert
ULM (dpa) - Nach kontroversen Debatten über Methadon als möglichem Krebsmittel wird dessen Wirkung in der Tumortherapie nun erstmals im Rahmen einer klinischen Studie untersucht. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Ulm wollen feststellen, ob Methadon bei Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs wirksam ist oder nicht, wie die Deutsche Krebshilfe mitteilte. Sie unterstützt die bis 2026 angelegte Studie mit 1,6 Millionen Euro. Daran werden Patienten mit Dickdarmkrebs beteiligt, der bereits Metastasen gebildet hat und kaum noch auf Chemotherapeutika anspricht.
ULM - Als Schmerzmittel und Heroinersatz ist Methadon etabliert. Aber kann die dem Opium ähnliche, künstlich hergestellte Substanz noch mehr? Könnte sie Krebskranken neue Hoffnung bieten? Die Ulmer Chemikerin Claudia Friesen ist hiervon überzeugt und kämpft seit Jahren um Anerkennung ihrer Forschungsergebnisse. Nun soll an der Ulmer Uniklinik erstmals eine klinische Studie belastbare Antworten auf diese Fragen liefern.
Nach teils kontroversen Debatten unter Wissenschaftlern hat sich die Deutsche Krebshilfe entschlossen, eine Therapiestudie an der Universitätsklinik Ulm mit 1,6 Millionen Euro zu fördern. Beteiligt werden Patienten mit Dickdarmkrebs, der bereits Metastasen gebildet hat, und bei denen die Chemotherapie nicht mehr anschlägt. „Die Krebszellen dieser Patienten sind unempfindlich gegen diese Medikamente geworden“, erläutert Studienleiter Professor Thomas Seufferlein, der Ärztliche Direktor der Klinik für Innere Medizin I der Ulmer Uni. „Unsere Hypothese ist, dass Methadon den Tumor wieder empfindlich für Chemotherapeutika machen kann.“
Die Annahme stützt sich auf Forschungen der Chemikerin Claudia Friesen vom Institut für Rechtsmedizin der Uni Ulm. Schon 2008 kam sie zu dem Schluss, dass Blutkrebszellen absterben und ihre Widerstandskraft gegen die Chemotherapie abnimmt, wenn sie mit Methadon behandelt werden. Spätere Forschungen mit Zellkulturen anderer Tumoren schienen die Vermutung zu erhärten.
Doch Friesen wehte enormer Gegenwind ins Gesicht. Der Vorwurf: Ihre Untersuchungen seien unseriös abgelaufen. Vor einem „MethadonHype“warnte etwa Professor Wolfgang Wick, Direktor der Neurologischen Uniklinik Heidelberg und Leiter einer Forschungsabteilung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Wenn Vermutungen ohne gesicherte Datenlage in der Öffentlichkeit diskutiert würden, könnten Patienten leicht das Gefühl bekommen, von bereits bestehenden Möglichkeiten abgeschnitten zu werden, mahnte er.
Zu einem Ansturm auf Methadon war es 2017 gekommen, nachdem Friesen im Fernsehen von ihren Laborergebnissen und von Fällen berichtet hatte, in denen Krebspatienten nach Methadon-Einnahme eine Besserung erfahren haben sollen.
Die Studie soll im ersten Quartal 2020 starten. Studienleiter Seufferlein bewertet diese als „ komplett ergebnisoffen“. Zudem würden Resultate
allein für die Situation eines fortgeschrittenen Dickdarmkrebses und nicht für andere Tumorarten sowie allein für das konkrete Chemotherapeutikum und die konkrete Methadon-Dosierung gelten.
53 000 Unterschriften bei Petition
Auch die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis (SPD) begrüßt die Förderung der Studie. Ihr dankt Friesen besonders. Ohne die Gesundheitspolitikerin sei der Ansatz, dass Methadon – ein verhältnismäßig günstig herzustellender Stoff – in der Krebstherapie zusätzliche Wirkung entfalten könne, wohl nicht von der Krebshilfe aufgegriffen worden. Auch der Bundestags-Petitionsausschuss hatte sich zuletzt mit Friesens These beschäftigt. 53 000 Menschen unterzeichneten eine Petition. Schließlich erklärte das Forschungsministerium, die Regierung stehe „der Förderung klinischer Studien zum Einsatz von Methadon in der Krebstherapie offen gegenüber“.
Mattheis blickt jetzt nach vorne: „Die vielen verzweifelten Patienten brauchen endlich klare Ergebnisse, ob und wie Methadon wirkt.“Darüber hinaus fordert Mattheis weitere Untersuchungen zur Wirkung von Methadon bei anderen Krebsarten.
Thomas Seufferlein rechnet mit jeweils etwa 30 Patienten, die neben der Chemotherapie auch Methadon bekommen, im Vergleich zu anderen Menschen, die – wie bislang üblich – neben der Chemotherapie bei Bedarf Morphium oder andere Schmerzmittel erhalten. Erste Resultate könnten frühestens Anfang 2022 vorliegen. Claudia Friesen, die ihren Einsatz für Methadon bei Krebsbehandlungen im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“als eine Art „Lebenswerk“bezeichnet, freut sich auf die Studie. „Ich habe ein gutes Gefühl.“
Claudia Friesen im VideoInterview: www.schwäbische.de/methadon-ulm