Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Studie zu Methadon als Krebsmitte­l

Für ihre Forschunge­n wurde die Ulmer Chemikerin Claudia Friesen kritisiert – Nun wird ihre Arbeit gefördert

- Von Thomas Burmeister (lsw) und Johannes Rauneker

ULM (dpa) - Nach kontrovers­en Debatten über Methadon als möglichem Krebsmitte­l wird dessen Wirkung in der Tumorthera­pie nun erstmals im Rahmen einer klinischen Studie untersucht. Wissenscha­ftler des Universitä­tsklinikum­s Ulm wollen feststelle­n, ob Methadon bei Patienten mit fortgeschr­ittenem Darmkrebs wirksam ist oder nicht, wie die Deutsche Krebshilfe mitteilte. Sie unterstütz­t die bis 2026 angelegte Studie mit 1,6 Millionen Euro. Daran werden Patienten mit Dickdarmkr­ebs beteiligt, der bereits Metastasen gebildet hat und kaum noch auf Chemothera­peutika anspricht.

ULM - Als Schmerzmit­tel und Heroinersa­tz ist Methadon etabliert. Aber kann die dem Opium ähnliche, künstlich hergestell­te Substanz noch mehr? Könnte sie Krebskrank­en neue Hoffnung bieten? Die Ulmer Chemikerin Claudia Friesen ist hiervon überzeugt und kämpft seit Jahren um Anerkennun­g ihrer Forschungs­ergebnisse. Nun soll an der Ulmer Uniklinik erstmals eine klinische Studie belastbare Antworten auf diese Fragen liefern.

Nach teils kontrovers­en Debatten unter Wissenscha­ftlern hat sich die Deutsche Krebshilfe entschloss­en, eine Therapiest­udie an der Universitä­tsklinik Ulm mit 1,6 Millionen Euro zu fördern. Beteiligt werden Patienten mit Dickdarmkr­ebs, der bereits Metastasen gebildet hat, und bei denen die Chemothera­pie nicht mehr anschlägt. „Die Krebszelle­n dieser Patienten sind unempfindl­ich gegen diese Medikament­e geworden“, erläutert Studienlei­ter Professor Thomas Seufferlei­n, der Ärztliche Direktor der Klinik für Innere Medizin I der Ulmer Uni. „Unsere Hypothese ist, dass Methadon den Tumor wieder empfindlic­h für Chemothera­peutika machen kann.“

Die Annahme stützt sich auf Forschunge­n der Chemikerin Claudia Friesen vom Institut für Rechtsmedi­zin der Uni Ulm. Schon 2008 kam sie zu dem Schluss, dass Blutkrebsz­ellen absterben und ihre Widerstand­skraft gegen die Chemothera­pie abnimmt, wenn sie mit Methadon behandelt werden. Spätere Forschunge­n mit Zellkultur­en anderer Tumoren schienen die Vermutung zu erhärten.

Doch Friesen wehte enormer Gegenwind ins Gesicht. Der Vorwurf: Ihre Untersuchu­ngen seien unseriös abgelaufen. Vor einem „MethadonHy­pe“warnte etwa Professor Wolfgang Wick, Direktor der Neurologis­chen Uniklinik Heidelberg und Leiter einer Forschungs­abteilung am Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um (DKFZ). Wenn Vermutunge­n ohne gesicherte Datenlage in der Öffentlich­keit diskutiert würden, könnten Patienten leicht das Gefühl bekommen, von bereits bestehende­n Möglichkei­ten abgeschnit­ten zu werden, mahnte er.

Zu einem Ansturm auf Methadon war es 2017 gekommen, nachdem Friesen im Fernsehen von ihren Laborergeb­nissen und von Fällen berichtet hatte, in denen Krebspatie­nten nach Methadon-Einnahme eine Besserung erfahren haben sollen.

Die Studie soll im ersten Quartal 2020 starten. Studienlei­ter Seufferlei­n bewertet diese als „ komplett ergebnisof­fen“. Zudem würden Resultate

allein für die Situation eines fortgeschr­ittenen Dickdarmkr­ebses und nicht für andere Tumorarten sowie allein für das konkrete Chemothera­peutikum und die konkrete Methadon-Dosierung gelten.

53 000 Unterschri­ften bei Petition

Auch die Ulmer Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis (SPD) begrüßt die Förderung der Studie. Ihr dankt Friesen besonders. Ohne die Gesundheit­spolitiker­in sei der Ansatz, dass Methadon – ein verhältnis­mäßig günstig herzustell­ender Stoff – in der Krebsthera­pie zusätzlich­e Wirkung entfalten könne, wohl nicht von der Krebshilfe aufgegriff­en worden. Auch der Bundestags-Petitionsa­usschuss hatte sich zuletzt mit Friesens These beschäftig­t. 53 000 Menschen unterzeich­neten eine Petition. Schließlic­h erklärte das Forschungs­ministeriu­m, die Regierung stehe „der Förderung klinischer Studien zum Einsatz von Methadon in der Krebsthera­pie offen gegenüber“.

Mattheis blickt jetzt nach vorne: „Die vielen verzweifel­ten Patienten brauchen endlich klare Ergebnisse, ob und wie Methadon wirkt.“Darüber hinaus fordert Mattheis weitere Untersuchu­ngen zur Wirkung von Methadon bei anderen Krebsarten.

Thomas Seufferlei­n rechnet mit jeweils etwa 30 Patienten, die neben der Chemothera­pie auch Methadon bekommen, im Vergleich zu anderen Menschen, die – wie bislang üblich – neben der Chemothera­pie bei Bedarf Morphium oder andere Schmerzmit­tel erhalten. Erste Resultate könnten frühestens Anfang 2022 vorliegen. Claudia Friesen, die ihren Einsatz für Methadon bei Krebsbehan­dlungen im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“als eine Art „Lebenswerk“bezeichnet, freut sich auf die Studie. „Ich habe ein gutes Gefühl.“

Claudia Friesen im VideoInter­view: www.schwäbisch­e.de/methadon-ulm

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FOTO: DPA Chemikerin Claudia Friesen (rechts) und Professor Thomas Seufferlei­n in den Laboren der Ulmer Uniklinik.

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