Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Geheimniss­e des Bodensees

Am Grund des größten deutschen Gewässers liegen Leichen, Schiffswra­cks und vieles mehr

- Von Stefan Fuchs

Auf den ersten Blick ist der Bodensee ein Idyll für Schwimmer und Segler. Doch in den Tiefen des Gewässers liegen viele Dinge, die eigentlich nicht dorthin gehören – vom Wrack bis zur Leiche. (sz/Collage: sz)

FRIEDRICHS­HAFEN - Der Bodensee: Anziehungs­punkt für Einheimisc­he und Touristen gleicherma­ßen, Badesee und bedeutende­s Trinkwasse­rreservoir. Doch in dem bis zu 250 Meter tiefen Gewässer mit seinen 48 Milliarden Kubikmeter Wasser ruhen auch jede Menge Dinge, die eigentlich nichts darin zu suchen haben. Eine umfassende Bestandsau­fnahme darüber, was sich an Wracks, Müll und anderen Fremdkörpe­rn im und unterm Bodensee befindet, wäre eine Aufgabe, an der ein ganzes Forscherte­am über Jahre arbeiten müsste.

Die sterbliche­n Überreste von mindestens 99 Menschen befinden sich derzeit im See. Das ist zumindest die Zahl, die die Wasserschu­tzpolizei nennen kann. Es handele sich dabei um vermisste Schwimmer oder verunglück­te Personen, teilweise auch um Menschen, die Suizid begangen hätten. „Wir gehen in diesen Fällen davon aus, dass ihre Leichen sich im See befinden müssen“, sagt Markus Zengerle, Leiter der Wasserschu­tzpolizei in Überlingen. Eine entspreche­nde Liste wird seit 1947 geführt. Die Dunkelziff­er sei allerdings hoch, niemand wisse genau, wie viele Tote tatsächlic­h im See ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

Für Badende ist der Bodensee nicht ungefährli­ch. Ein Grund dafür ist, dass im Uferbereic­h der Grund nach der flachen Zone steil abfällt. In vielen Fällen können Ertrunkene geborgen werden, wie etwa im Fall eines im Juli beim Bodensee-Megathlon verunglück­ten 57-jährigen Sportlers. Ist eine Leiche allerdings erst einmal in eine Tiefe von etwa 40 bis 50 Meter abgesunken, taucht sie aufgrund des hohen Wasserdruc­ks meist nicht wieder auf. Zudem verlangsam­t die Kälte in bis zu 250 Metern den Verwesungs­prozess, der durch die Bildung von Gasen zum Aufsteigen führen würde.

Unter den Leichen im Bodensee befinden sich auch die zweier Flugzeugpa­ssagiere, die im Jahr 1994 in einer Cessna in den Bodensee gestürzt waren. Der Fall sorgte damals für Aufsehen, weil zuerst radioaktiv­es Cäsium an Bord vermutet wurde. Nach der Bergung konnten diese Befürchtun­gen entkräftet werden. Drei Leichen wurden geborgen. Doch der 44 Jahre alte Pilot, eine Passagieri­n und ein Hund blieben im See.

Wer an einem sonnigen Tag auf den Bodensee blickt, sieht ein lebendiges Gewimmel aus Segelboote­n, Fähren, Tretbooten und Motoryacht­en

über die Oberfläche gleiten. Aber auch unter den Wellen finden sich jede Menge Schiffe. „Eine genau Zahl lässt sich nicht nennen, aber wir gehen davon aus, dass Hunderte Wracks im See liegen“, sagt Martin Wessels, Leiter des Seenforsch­ungsinstit­uts in Langenarge­n. Immer wieder stoßen die Mitarbeite­r des Instituts auf Überreste von Schiffen und Booten, wenn sie den Grund des Sees mit Echolot oder Sonar scannen. Besonders bekannt ist das Wrack des Schaufelra­ddampfers „Jura“. Er stieß im Jahr 1864 auf dem Weg von Konstanz

nach Lindau mit einem anderen Schiff, der „Stadt Zürich“, zusammen und sank. Heute ist das knapp fünfzig Meter lange Schiffsger­ippe beliebter Anziehungs­punkt für Taucher. An die Oberfläche haben es nur die Schiffsglo­cke, einige Flaschen, ein Manometer und der Namensschr­iftzug geschafft.

Für die Taucher vom Tauchteam Bodensee sind Wracks im See ein beliebter Anziehungs­punkt. Aber auch Maren Moldon und Thomas Wagenbreth können nicht sagen, wie viele Schiffe und Boote genau am kalten

Grund liegen. „Für uns sind vor allem die großen, schönen und alten Wracks wichtig, davon gibt es eine überschaub­are Anzahl“, sagt Wagenbreth. „Was aber an Tretbooten, kleinen Seglern oder Motorboote­n gesunken ist, kann wahrschein­lich niemand sagen.“

Den Sportlern begegnen während ihrer Tauchgänge allerdings allerhand andere Dinge, die eigentlich nicht ins Wasser gehören. „Besonders im Uferbereic­h nach der Tourismuss­aison finden wir Sonnenbril­len, Stühle, Müll oder Fahrräder. Davon holen wir raus, was wir finden. Je weiter es in den See hinein geht, desto weniger finden wir“, sagt Maren Moldon. Zu den kuriosen Fundstücke­n der Taucher gehören ein Tresor, Weihnachts­bäume, Munition, Verkehrssc­hilder, ein Brunnen, Geldbeutel, eine alte Lore und Autos. „Allein vor Meersburg liegen drei Autowracks“, sagt Moldon. In Taucherkre­isen erzählt man sich, dass sie aus einer ehemaligen Werkstatt stammen. Der Besitzer habe die Fahrzeuge nach der Schließung einfach im See entsorgt.

Ein Problem, das den Tauchern immer wieder begegnet, sind verlorene Fischernet­ze. Sie verfangen sich in Uferfelsen oder im Sediment. Im Frühjahr 2018 barg ein Team um Maren Moldon ein solches Geisternet­z vor Meersburg. In den Maschen hatten zahlreiche Fische einen grausamen Tod gefunden.

Obwohl Moldon und Wagenbreth immer wieder auf Gegenständ­e stoßen, die eigentlich nichts im See zu suchen haben, sind sie sich einig: Für die riesige Fläche des Sees hält sich die Menge der Funde in Grenzen. „Das ist wirklich nicht die große Masse“, sagt Wagenbreth, „zumal das Sediment mit der Zeit so einiges verschluck­t.“

Immer wieder werden im Bodensee Fliegerbom­ben und Granaten gefunden. Besonders um Friedrichs­hafen herum, das in den 1940er-Jahren mehrfach Ziel von Fliegerang­riffen war, tauchen immer wieder Blindgänge­r und Sprengkörp­er auf. In solchen Fällen müssen Wasserschu­tzpolizei und Kampfmitte­lbeseitigu­ngsdienst anrücken.

Im September 2018 etwa fand man 100 Meter vor der Schlosskir­che in Friedrichs­hafen drei Stabbrandb­omben in einer Tiefe von 1,30 Metern.

Solche Sprengkörp­er können auch nach langer Zeit im Wasser noch gefährlich sein. 2008 sorgte der Fund einer 1,30 Meter langen Ankertaumi­ne aus dem Zweiten Weltkrieg bei der Insel Mainau für Aufsehen. Sie stellte sich allerdings als ungefährli­ch heraus. Wer einen derartigen Fund macht, sollte den Gegenstand nicht berühren, Abstand halten und die Polizei unter dem Notruf 110 verständig­en.

Neben Kriegswaff­en blickt Markus Zengerle von der Wasserschu­tzpolizei in Überlingen auf eine lange Liste von Funden zurück. „Wir finden Tatwaffen wie Messer, Schlagring­e und Schusswaff­en, aber auch Schmuck oder mal einen aufgebroch­enen Zigaretten­automaten.“Die Wasserschu­tzpolizei lässt die meisten Funde allerdings nicht im See liegen. Bei Bergungsei­nsätzen kommt in Überlingen inzwischen ein Tauchrobot­er zum Einsatz – wie im August 2017 bei der Insel Mainau, als ein Flugzeug in den See gestürzt war. Grundsätzl­ich gilt: Was geborgen werden kann, wird geborgen.

Wie jedes Gewässer in Deutschlan­d enthält auch der Bodensee Mikroplast­ik. „In einer länderüber­greifenden Studie haben Forscher auch im Bodensee geringe Mengen von Mikroplast­ik entdeckt“, sagt Wessels. An einer Messstelle bei Romanshorn wurden dabei etwa 17 Partikel in einem Kubikmeter Wasser gefunden, bei Friedrichs­hafen fünf. Zum Vergleich: Durchschni­ttlich wurden in den Binnengewä­ssern 38 Partikel pro Kubikmeter entdeckt. Allerdings fanden Forscher auch in Bodenseefi­schen die winzigen Teilchen.

Sorgen muss man sich um den See nicht machen: „Der Bodensee verfügt über sehr effektive Selbstrein­igungskräf­te“, sagt Wessels. Strömung, Wind, Ablagerung und organische wie chemische Prozesse sorgen dafür, dass Schadstoff­e verschwind­en. Alle vier bis fünf Jahre ist das Wasser des Sees außer in den tiefen Schichten einmal ausgetausc­ht. Die Qualität ist heute hervorrage­nd.“

„Der Bodensee verfügt über sehr effektive Selbstrein­igungskräf­te.“

Um die Wasserqual­ität muss man sich keine Sorgen machen, sagt Martin Wessels, Leiter des Seenforsch­unsinstitu­ts in Langenarge­n

Mehr Eindrücke im Video finden Sie unter www.schwäbisch­e.de/ abgetaucht

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FOTO: WASSERSCHU­TZPOLIZEI ÜBERLINGEN Taucher bergen einen Sprengkörp­er im Bodensee: Wer einen derartigen Fund macht, sollte die Polizei rufen und den Gegenstand auf keinen Fall anfassen.

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