Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Geheimnisse des Bodensees
Am Grund des größten deutschen Gewässers liegen Leichen, Schiffswracks und vieles mehr
Auf den ersten Blick ist der Bodensee ein Idyll für Schwimmer und Segler. Doch in den Tiefen des Gewässers liegen viele Dinge, die eigentlich nicht dorthin gehören – vom Wrack bis zur Leiche. (sz/Collage: sz)
FRIEDRICHSHAFEN - Der Bodensee: Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen gleichermaßen, Badesee und bedeutendes Trinkwasserreservoir. Doch in dem bis zu 250 Meter tiefen Gewässer mit seinen 48 Milliarden Kubikmeter Wasser ruhen auch jede Menge Dinge, die eigentlich nichts darin zu suchen haben. Eine umfassende Bestandsaufnahme darüber, was sich an Wracks, Müll und anderen Fremdkörpern im und unterm Bodensee befindet, wäre eine Aufgabe, an der ein ganzes Forscherteam über Jahre arbeiten müsste.
Die sterblichen Überreste von mindestens 99 Menschen befinden sich derzeit im See. Das ist zumindest die Zahl, die die Wasserschutzpolizei nennen kann. Es handele sich dabei um vermisste Schwimmer oder verunglückte Personen, teilweise auch um Menschen, die Suizid begangen hätten. „Wir gehen in diesen Fällen davon aus, dass ihre Leichen sich im See befinden müssen“, sagt Markus Zengerle, Leiter der Wasserschutzpolizei in Überlingen. Eine entsprechende Liste wird seit 1947 geführt. Die Dunkelziffer sei allerdings hoch, niemand wisse genau, wie viele Tote tatsächlich im See ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Für Badende ist der Bodensee nicht ungefährlich. Ein Grund dafür ist, dass im Uferbereich der Grund nach der flachen Zone steil abfällt. In vielen Fällen können Ertrunkene geborgen werden, wie etwa im Fall eines im Juli beim Bodensee-Megathlon verunglückten 57-jährigen Sportlers. Ist eine Leiche allerdings erst einmal in eine Tiefe von etwa 40 bis 50 Meter abgesunken, taucht sie aufgrund des hohen Wasserdrucks meist nicht wieder auf. Zudem verlangsamt die Kälte in bis zu 250 Metern den Verwesungsprozess, der durch die Bildung von Gasen zum Aufsteigen führen würde.
Unter den Leichen im Bodensee befinden sich auch die zweier Flugzeugpassagiere, die im Jahr 1994 in einer Cessna in den Bodensee gestürzt waren. Der Fall sorgte damals für Aufsehen, weil zuerst radioaktives Cäsium an Bord vermutet wurde. Nach der Bergung konnten diese Befürchtungen entkräftet werden. Drei Leichen wurden geborgen. Doch der 44 Jahre alte Pilot, eine Passagierin und ein Hund blieben im See.
Wer an einem sonnigen Tag auf den Bodensee blickt, sieht ein lebendiges Gewimmel aus Segelbooten, Fähren, Tretbooten und Motoryachten
über die Oberfläche gleiten. Aber auch unter den Wellen finden sich jede Menge Schiffe. „Eine genau Zahl lässt sich nicht nennen, aber wir gehen davon aus, dass Hunderte Wracks im See liegen“, sagt Martin Wessels, Leiter des Seenforschungsinstituts in Langenargen. Immer wieder stoßen die Mitarbeiter des Instituts auf Überreste von Schiffen und Booten, wenn sie den Grund des Sees mit Echolot oder Sonar scannen. Besonders bekannt ist das Wrack des Schaufelraddampfers „Jura“. Er stieß im Jahr 1864 auf dem Weg von Konstanz
nach Lindau mit einem anderen Schiff, der „Stadt Zürich“, zusammen und sank. Heute ist das knapp fünfzig Meter lange Schiffsgerippe beliebter Anziehungspunkt für Taucher. An die Oberfläche haben es nur die Schiffsglocke, einige Flaschen, ein Manometer und der Namensschriftzug geschafft.
Für die Taucher vom Tauchteam Bodensee sind Wracks im See ein beliebter Anziehungspunkt. Aber auch Maren Moldon und Thomas Wagenbreth können nicht sagen, wie viele Schiffe und Boote genau am kalten
Grund liegen. „Für uns sind vor allem die großen, schönen und alten Wracks wichtig, davon gibt es eine überschaubare Anzahl“, sagt Wagenbreth. „Was aber an Tretbooten, kleinen Seglern oder Motorbooten gesunken ist, kann wahrscheinlich niemand sagen.“
Den Sportlern begegnen während ihrer Tauchgänge allerdings allerhand andere Dinge, die eigentlich nicht ins Wasser gehören. „Besonders im Uferbereich nach der Tourismussaison finden wir Sonnenbrillen, Stühle, Müll oder Fahrräder. Davon holen wir raus, was wir finden. Je weiter es in den See hinein geht, desto weniger finden wir“, sagt Maren Moldon. Zu den kuriosen Fundstücken der Taucher gehören ein Tresor, Weihnachtsbäume, Munition, Verkehrsschilder, ein Brunnen, Geldbeutel, eine alte Lore und Autos. „Allein vor Meersburg liegen drei Autowracks“, sagt Moldon. In Taucherkreisen erzählt man sich, dass sie aus einer ehemaligen Werkstatt stammen. Der Besitzer habe die Fahrzeuge nach der Schließung einfach im See entsorgt.
Ein Problem, das den Tauchern immer wieder begegnet, sind verlorene Fischernetze. Sie verfangen sich in Uferfelsen oder im Sediment. Im Frühjahr 2018 barg ein Team um Maren Moldon ein solches Geisternetz vor Meersburg. In den Maschen hatten zahlreiche Fische einen grausamen Tod gefunden.
Obwohl Moldon und Wagenbreth immer wieder auf Gegenstände stoßen, die eigentlich nichts im See zu suchen haben, sind sie sich einig: Für die riesige Fläche des Sees hält sich die Menge der Funde in Grenzen. „Das ist wirklich nicht die große Masse“, sagt Wagenbreth, „zumal das Sediment mit der Zeit so einiges verschluckt.“
Immer wieder werden im Bodensee Fliegerbomben und Granaten gefunden. Besonders um Friedrichshafen herum, das in den 1940er-Jahren mehrfach Ziel von Fliegerangriffen war, tauchen immer wieder Blindgänger und Sprengkörper auf. In solchen Fällen müssen Wasserschutzpolizei und Kampfmittelbeseitigungsdienst anrücken.
Im September 2018 etwa fand man 100 Meter vor der Schlosskirche in Friedrichshafen drei Stabbrandbomben in einer Tiefe von 1,30 Metern.
Solche Sprengkörper können auch nach langer Zeit im Wasser noch gefährlich sein. 2008 sorgte der Fund einer 1,30 Meter langen Ankertaumine aus dem Zweiten Weltkrieg bei der Insel Mainau für Aufsehen. Sie stellte sich allerdings als ungefährlich heraus. Wer einen derartigen Fund macht, sollte den Gegenstand nicht berühren, Abstand halten und die Polizei unter dem Notruf 110 verständigen.
Neben Kriegswaffen blickt Markus Zengerle von der Wasserschutzpolizei in Überlingen auf eine lange Liste von Funden zurück. „Wir finden Tatwaffen wie Messer, Schlagringe und Schusswaffen, aber auch Schmuck oder mal einen aufgebrochenen Zigarettenautomaten.“Die Wasserschutzpolizei lässt die meisten Funde allerdings nicht im See liegen. Bei Bergungseinsätzen kommt in Überlingen inzwischen ein Tauchroboter zum Einsatz – wie im August 2017 bei der Insel Mainau, als ein Flugzeug in den See gestürzt war. Grundsätzlich gilt: Was geborgen werden kann, wird geborgen.
Wie jedes Gewässer in Deutschland enthält auch der Bodensee Mikroplastik. „In einer länderübergreifenden Studie haben Forscher auch im Bodensee geringe Mengen von Mikroplastik entdeckt“, sagt Wessels. An einer Messstelle bei Romanshorn wurden dabei etwa 17 Partikel in einem Kubikmeter Wasser gefunden, bei Friedrichshafen fünf. Zum Vergleich: Durchschnittlich wurden in den Binnengewässern 38 Partikel pro Kubikmeter entdeckt. Allerdings fanden Forscher auch in Bodenseefischen die winzigen Teilchen.
Sorgen muss man sich um den See nicht machen: „Der Bodensee verfügt über sehr effektive Selbstreinigungskräfte“, sagt Wessels. Strömung, Wind, Ablagerung und organische wie chemische Prozesse sorgen dafür, dass Schadstoffe verschwinden. Alle vier bis fünf Jahre ist das Wasser des Sees außer in den tiefen Schichten einmal ausgetauscht. Die Qualität ist heute hervorragend.“
„Der Bodensee verfügt über sehr effektive Selbstreinigungskräfte.“
Um die Wasserqualität muss man sich keine Sorgen machen, sagt Martin Wessels, Leiter des Seenforschunsinstituts in Langenargen
Mehr Eindrücke im Video finden Sie unter www.schwäbische.de/ abgetaucht