Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Präsident auf dem Drahtseil
Alberto Fernández tritt aus der zweiten Reihe an die Spitze Argentiniens
BUENOS AIRES - Argentiniens nächster Staats- und Regierungschef heißt Alberto Fernández. Der 60-Jährige gewann die Präsidentenwahl am Sonntag nach Zahlen der Wahlbehörde mit rund 48 Prozent der Stimmen und besiegte damit den konservativen Amtsinhaber Mauricio Macri, der auf etwa 40 Prozent kam – der Rest verteilte sich auf die übrigen vier Bewerber. Bis Montag waren die Wahlzettel in gut 97 Prozent der Wahllokale ausgezählt.
Im Wahlkampf suchte sich die Kandidatin für ein Vize-Präsidentenamt den Bewerber für das Präsidentenamt aus – was nicht oft vorkommt. Cristina Fernández de Kirchner stellte Mitte Mai mit einem Video die Politik der südamerikanischen Krisenrepublik auf den Kopf. „CFK“, Ex-Präsidentin, meistgehasste und meistgeliebte Politikerin des Landes, sagte, sie werde bei der Präsidentenwahl vom Sonntag nur als Vize-Kandidatin antreten. Um das Amt als Staatschef werde sich Alberto Fernández bewerben, ein politischer Strippenzieher, ein typischer Mann der zweiten Reihe, einst Kabinettschef von CFK und ihrem Mann und Vorgänger Néstor Kirchner. Es war ein genialer Schachzug, der den Peronisten, der prägenden politischen Kraft Argentiniens, nach vier Jahren Opposition den Weg zurück an die Macht ebnete.
Alberto Fernández ist ein Politiker, der moderat ist und moderieren kann, der sich mit Freund und Feind an einen Tisch setzt, der anders als Cristina Fernández eher grau als glamourös daherkommt. Am Sonntagabend beim ersten Auftritt nach dem Sieg war es in alter Manier sie, die zuerst sprach, die Pathos einbrachte und die entschied, wann ihr künftiger Chef das Wort bekam. Und so ist nach dem Wahlabend offen, ob Cristina tatsächlich die zweite Geige in dem Duo Fernández/ Fernández spielen wird.
Im Wahlkampf reagierte der künftige Staatschef bisweilen dünnhäutig auf die Frage, wer von den beiden das Zepter in der Hand halten werde: „Der Präsident werde ich sein“, unterstrich Alberto Fernández immer wieder genervt. Und am Wahlabend blieb ihm die schwere Aufgabe vorbehalten, seine Landsleute kurz vor Mitternacht darauf einzustimmen, dass „schwierige Zeiten kommen werden“.
Viele Aufgaben für den Präsidenten
Das nächste Staatsoberhaupt der drittgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas muss den Hunger bekämpfen, die Geldentwertung und galoppierende Teuerung stoppen, er muss die Wirtschaft vor dem Schiffbruch bewahren und gleichzeitig mit den internationalen Geldgebern die Staatsschulden neu verhandeln. Denn Geld für die Zinsen, die im kommenden Jahr in zweistelliger Milliardenhöhe auf Argentinien zukommen, hat das Land nicht. Die delikate Wirtschaftslage lässt kaum Spielraum für Fernández – auch weil der scheidende Staatschef Macri etwa 80 Milliarden Dollar Schulden hinterlässt.
„Der Grat, auf dem Alberto Fernández wandeln muss, ist so schmal, dass ein Scheitern möglich ist“, sagt Hugo Alconada Mon, einer der bekanntesten Analysten Argentiniens. „Er muss verhindern, dass ihm die Geldgeber den Hahn zudrehen, aber auch, dass die hungernde Bevölkerung zu Protesten auf die Straße geht“, sagt Alconada Mon der „Schwäbischen Zeitung“. „Er hat maximal ein halbes Jahre Zeit, um das Land auf die Schiene zu bringen.“
Für viele Analysten ist Fernández vielleicht der einzige Politiker, der das Land aus dem Krisen-Kreislauf führen kann. Er ist zwar auch Peronist, steht aber eher in der politischen Mitte. Anders als Cristina Fernández de Kirchner ist er bereit, seine Überzeugungen für eine pragmatische Lösung zu opfern. Er steht für Kompromisse, während seine Vize-Präsidentin oft genug bewiesen hat, dass sie nur die Konfrontation beherrscht.
Fernández, der mit einer 38-jährigen Journalistin liiert ist, hatte sich zuletzt weitgehend aus der Politik zurückgezogen und sich seiner Arbeit als Strafrechts-Professor an der Universität von Buenos Aires gewidmet. Die muss er nun erst mal ruhen lassen. Die Aufgabe, die er zu bewältigen hat, sei groß, erkannte er an. Er wolle Argentinien „solidarischer und geeinter“machen. Mit besseren Schulen, Arbeitern, die ihre Fabriken wieder aufbauen, und mit Wissenschaftlern, die nicht mehr auf der Suche nach besseren Perspektiven ins Ausland gehen.