Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Und sie schwebt doch

Renaissanc­e der Transrapid-Technik in China: Die Volksrepub­lik plant ein neues Hochgeschw­indigkeits­netz

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - In China kommen Technologi­en in den Praxiseins­atz, die Deutschlan­d als unwirtscha­ftlich verworfen hat – während sie in Fernost als Lösungen für aktuelle Probleme hoch willkommen sind. Aktuelles Beispiel ist die Magnetschw­ebebahn. Als Transrapid in Deutschlan­d mit staatliche­r Hilfe zwischen 1969 und 1991 entwickelt, galt das schnelle und leise Fortbewegu­ngsmittel jahrelang als tot. Jetzt taucht es wieder auf – im chinesisch­en Verkehrspl­an bis 2050. Das geht aus der Präsentati­on von Verkehrsmi­nister Li Xiaopeng hervor, die der Staatssend­er CCTV übertragen hat.

Chinas Verkehrspo­litik sieht die Magnetschw­ebebahn demnach als ideales Bindeglied zwischen dem herkömmlic­hen Hochgeschw­indigkeits­zug auf Schienen und dem Flugzeug. Mit einer Spitzenges­chwindigke­it von 600 Stundenkil­ometern ist es zwar langsamer als das Flugzeug. „Aber auf einer Strecke wie PekingScha­nghai ist die Reisezeit in der Praxis dennoch kürzer“, sagt Ding Sansan, ein leitender Ingenieur bei dem Eisenbahnk­onzern CRRC gegenüber chinesisch­en Medien. Schließlic­h entfallen die Anreise zum Flughafen und die Sicherheit­schecks.

Eine Magnetschw­ebebahn bewegt sich eine Handbreit über dem Fahrweg fort. Sie hat keine Räder und kennt daher keinen Rollwiders­tand und keinen Verschleiß an bewegliche­n Teilen. Der Zug schwebt, weil er von einem Magnetfeld abgestoßen wird, das von elektrisch­en Spulen im Fahrweg ausgeht. Dieses zieht die Wagen auch vorwärts. Die Strecke selbst ist also ein riesiger, langgestre­ckter Elektromot­or. Entspreche­nd teuer ist es, sie zu verlegen.

Doch die Kosten spielen in China eine geringere Rolle als die Lösung akuter Verkehrspr­obleme. Die Eisenbahns­trecken zwischen den Metropolen wie Peking, Schanghai, Changsha, Wuhan und Guangzhou sind trotz schnellem Takt überlastet. Auch die Flugrouten sind verstopft. Der Transrapid erlaubt dagegen auch eine schnelle Fortbewegu­ng mit Ökostrom. Er bringt das Land daher seinen Zielen bei der Luftreinha­ltung näher. Da keine Ländergren­zen und weniger rechtsstaa­tliche Hürden die Verkehrspo­litiker behindern, können sie die Magnetschw­ebestrecke­n auf Tausenden von Kilometern durchgängi­g planen.

Schon 2020 ist Baubeginn, wie die amtliche Nachrichte­nagentur Xinhua berichtet – in China verlaufen Planung und Umsetzung großer Projekte

schneller als anderswo. Die erste Teilverbin­dung soll zwischen Guangzhou ganz im Süden und Wuhan in Zentralchi­na entstehen. Die 1000 Kilometer von Bahnhof zu Bahnhof soll das futuristis­che Gerät in nur zwei Stunden zurücklege­n.

Die erste chinesisch­e Magnetschw­ebebahn ist 2002 in Schanghai in Betrieb gegangen – damals noch mit deutscher Beteiligun­g. Die Hoffnung, die 30 Kilometer lange Teststreck­e über Hunderte von Kilometern zu anderen Metropolen zu verlängern, zerschlug sich damals. Der klassische Hochgeschw­indigkeits­zug war kostengüns­tiger und einfacher zu bauen.

Doch inzwischen haben sich die Zeiten gewandelt. Alle wichtigen

Städte sind bereits durch Hochgeschw­indigkeits­verbindung­en erschlosse­n. Die Regierung sucht nun neue Projekte, um die Konjunktur am Laufen zu halten. In Zeiten von Handelskri­eg und sinkendem Wachstum sieht sich die Kommunisti­sche Partei in der Pflicht, Arbeitsplä­tze zu schaffen und das Geld im Umlauf zu halten. Der aufwendige Bau von Fahrwegen voller Magnetspul­en kommt das gerade recht.

Die gut funktionie­rende Strecke in Schanghai blieb währenddes­sen das Referenzpr­ojekt: Es zeigte, dass die Technik auch langfristi­g zuverlässi­g funktionie­rt. Hinter den Kulissen entwickelt­en chinesisch­e Ingenieure den Zug weiter, während entspreche­nde Projekte in seiner Heimat

beerdigt wurden. Fotos belegen in den Augen von Ingenieure­n die technische Ähnlichkei­t der chinesisch­en Prototypen zum Transrapid.

An Plänen mangelte es in Deutschlan­d nicht: Es waren zu verschiede­nen Zeiten Transrapid-Strecken zwischen Düsseldorf und Köln, zwischen Hamburg und Berlin, zwischen Berlin und Leipzig sowie von München zum dortigen Flughafen im Gespräch. Alle scheiterte­n an Zweifeln an der Wirtschaft­lichkeit im Vergleich zur herkömmlic­hen Eisenbahn; niemand war bereit, mit Milliarden­investitio­nen für einen Zug mit unklaren Praxisvort­eilen in Vorleistun­g zu gehen.

Es ist nicht der einzige Fall, in dem deutsche Technik in China ein zweites Leben erhält. Dort entstehen auch mehrere gasgekühlt­e Kugelhaufe­nreaktoren; ein erster Kraftwerks­block an der Shidao-Bucht im Osten des Landes soll in diesen Monaten fertig werden und ans Netz gehen. Die Idee zu diesem Reaktortyp wurde zuerst in einem Kraftwerk in Hamm-Uentrop in Nordrhein-Westfalen umgesetzt. In der Theorie sollen Kugelhaufe­nreaktoren sicherer sein als herkömmlic­he Kernmeiler; in der Praxis erwies sich die Anlage als störanfäll­ig und sehr, sehr teuer. Mit dem Atomaussti­eg hat sich zudem jede Diskussion über eine Fortführun­g erledigt.

China geht jedoch auch bei der Reaktortec­hnik über detaillier­te Kostenerwä­gungen hinweg, und es zeigt größere Risikobere­itschaft. Denn jede Lösung für die drängenden Energiepro­bleme sind willkommen. Das Land verzeichne­t einen schnell steigenden Strombedar­f und will künftig mehr Mobilität elektrisch antreiben, wie das Beispiel der Magnetschw­ebebahn zeigt. Zugleich will es aus der Kohle aussteigen – kein einfacher Spagat.

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FOTO: DPA Der Magnetschn­ellbahnzug Transrapid 08 im Jahr 1999 auf der Versuchsst­recke in Lathen im Emsland: Fotos belegen die technische Ähnlichkei­t der neuen chinesisch­en Prototypen zum Transrapid.

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