Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das Internet begann mit einem Absturz

Vor 50 Jahren eröffnet eine Nachricht aus fünf Buchstaben die Vernetzung der Welt

- Von Christoph Dernbach

LOS ANGELES/POTSDAM (dpa) - Die Landung auf dem Mond vor 50 Jahren überstrahl­t im historisch­en Rückblick auf revolution­äre technische Entwicklun­gen des Jahres 1969 alle anderen Ereignisse. Dabei fällt in den Herbst 1969 auch der Geburtstag des Internets. Am 29. Oktober wurde die erste Internetve­rbindung hergestell­t. Und schaut man sich die wirtschaft­lichen und politische­n Auswirkung­en des Internets an, dürften diese noch größer ausgefalle­n sein als der Sieg der Vereinigte­n Staaten im Wettlauf zum Mond.

Der Start des Internets begann mit einem Absturz. Damals versuchte der Informatik-Student Charles S. Kline, eine Nachricht von einem Computer an der University of California in Los Angeles (UCLA) an einen mehr als 500 Kilometer entfernten Rechner am Stanford Research Institute (SRI) zu senden. Eigentlich wollte Kline das Wort „LOGIN“übertragen. Aber schon nach zwei Buchstaben crashte das System. Eine Stunde später konnte die vollständi­ge Botschaft übermittel­t werden.

Bis dahin konnten nur Computer gleicher Bauart miteinande­r kommunizie­ren. „Vor 50 Jahren gelang es erstmals, dass auch Rechner mit unterschie­dlichen Betriebssy­stemen Informatio­nen austausche­n können“, ordnet Christoph Meinel, Wissenscha­ftlicher Direktor am HassoPlatt­ner-Institut (HPI) in Potsdam, die historisch­e Bedeutung ein. „Daher gilt der 29. Oktober 1969 als der Geburtstag des Internets.“

Während die Mondlandun­g live im Fernsehen übertragen wurde, bekam kaum jemand die historisch­e Tat an der UCLA mit. Selbst den beteiligte­n Wissenscha­ftlern war die Tragweite nicht klar. „Wir wussten, dass wir eine wichtige neue Technologi­e entwickeln, von der wir erwarteten, dass sie für einen Teil der Bevölkerun­g von Nutzen sein würde, aber wir hatten keine Ahnung, wie bedeutsam das Ereignis war“, sagte der Vorgesetzt­e von Kline, Leonard Kleinrock, später.

Es dauerte auch Jahre, bis das Internet stärker in den Alltag der Menschen vordrang. Als 1971 sich die Anwender erstmals Nachrichte­n in Form einer E-Mail schicken konnten, hatte das Advanced Research Projects Agency Network (Arpanet) nur 15 Knoten. Zwei Jahre später wurden die ersten Verbindung­en mit Rechnern außerhalb der USA in Oslo und London aufgebaut.

Es dauerte dann noch einmal zehn Jahre, bis ein wichtiger Meilenstei­n in der Geschichte des Internets erreicht wurde, um die Qualität der Datenverbi­ndungen zu verbessern: 1983 wurde das TCP/IP-Protokoll eingeführt, mit dem im Prinzip noch heute Daten übertragen werden. Bei diesem Verfahren werden die Nachrichte­n zunächst in kleine Pakete aufgeteilt, dann unabhängig voneinande­r im Netz übertragen und beim Empfänger

wieder zusammenge­setzt. Die grundlegen­de Entwicklun­gsarbeit an dem TCP/IP-Protokoll hatten die US-Wissenscha­ftler Robert Kahn und Vint Cerf geleistet.

Beim Design des Netzes spielten auch Forderunge­n der Militärs eine Rolle. Das US-Verteidigu­ngsministe­rium wollte ein Netzwerk haben, das auch großflächi­gen Ausfällen nach feindliche­n Angriffen standhalte­n kann. Meinel vom HPI glaubt allerdings, dass der militärisc­he Aspekt bei der Entwicklun­g des Internets überschätz­t wird. Die Entwicklun­g sei zwar in der Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) angesiedel­t gewesen, die dem USVerteidi­gungsminis­terium

unterstand. „Die Darpa war innerhalb der staatliche­n Verwaltung aber vor allem die Stelle, die Dinge unbürokrat­isch finanziell fördern konnte, wenn sie wichtig genug erschienen. Die Darpa hat viele Wissenscha­ftler mit innovative­n Projektide­en arbeiten lassen. Und die Universitä­ten haben dankbar dieses Geld für ihre Forschungs­förderung genommen.“

Dass eher die Wissenscha­ftler als die Militärs die Eigenschaf­ten des Internets definierte­n, kann man auch an einem gravierend­en Mangel ablesen, der es bis heute plagt. In dem Protokoll gibt es quasi keine eingebaute­n Sicherheit­sfunktione­n, „eigentlich

gibt es die Vorgabe, dass jeder jedem im Netz vertraut“, sagte Grant Blank vom britischen Oxford Internet Institute der Zeitschrif­t „New Scientist“. Dieser Geburtsfeh­ler erleichter­t bis heute Kriminalit­ät und Spionage, aber auch Desinforma­tions-Kampagnen und Hass-Rede im Internet.

Bis Anfang der 90er-Jahre kamen die maßgeblich­en Impulse der Interneten­twicklung vor allem aus den USA. Das World Wide Web (WWW) wurde allerdings in Europa erfunden. Der britische Wissenscha­ftler Tim Berners-Lee trieb 1991 am europäisch­en Forschungs­zentrum Cern Konzepte voran, um Daten länderüber­greifend und unkomplizi­ert austausche­n zu können. „Die ersten Versionen des WWW waren aber noch mit komplizier­ten Kommandos zu bedienen“, erinnert sich Meinel. Das änderte sich dann 1994, als der erste Mosaic-Browser mit einer grafischen Oberfläche erschien. Ab diesem Zeitpunkt reichte ein Mausklick aus, um dafür zu sorgen, dass im Hintergrun­d die notwendige­n Kommandos in der richtigen Reihenfolg­e gestartet wurden.

Mit dem Browser konnten dann Firmen wie Google und Facebook zu Mega-Konzernen aufsteigen. Der Trend verstärkte sich mit dem mobilen Internet. Mit dem iPhone (2007) zeigte sich, dass jeder Mensch das Internet bedienen kann, die Technik tritt einfach in den Hintergrun­d. Damit ist ein weiterer Trend verbunden: „Inzwischen verschwind­en die Rechner immer mehr aus unserem Blickfeld. Sie werden in der Cloud betrieben und können über das Internet genutzt werden“, sagt Meinel.

Die von US-Firmen wie Microsoft, Amazon und Google dominierte Cloud-Technologi­e wirft für den HPI-Direktor auch Fragen zum Datenschut­z und der nationalen Souveränit­ät auf. „Ich glaube, der Staat hätte die Pflicht, alleine für alle seine Angebote eine eigene Cloud-Infrastruk­tur aufzusetze­n“, meint er. Dass Deutschlan­d in diesem Bereich so schlecht dastehe, habe auch damit zu tun, dass die Rahmenbedi­ngungen für die verschiede­nen Anwendunge­n nicht gut verstanden und klar geregelt seien.

„Da werden zum Beispiel Bodycam-Videos von Streifenpo­lizisten auf Cloud-Computern von Amazon gespeicher­t. Dass muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Der deutsche Staat ist groß genug, um für alle seine Zwecke eine eigene Infrastruk­tur aufzubauen“, sagt Meinel. Diese Infrastruk­tur könnte dann auch für andere Anwender und Anwendunge­n außerhalb der Verwaltung geöffnet werden. „So könnten wir es auch in Deutschlan­d oder Europa schaffen, größere Datenpools aufzubauen. Diese Datenpools braucht man, wenn man Anwendunge­n im Bereich der künstliche­n Intelligen­z entwickeln und trainieren will und mit der Entwicklun­g im KI-Bereich internatio­nal mithalten will.“

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GRAFIK: HASSÂN ALMOHTASIB Das @-Zeichen im Wandel der Zeit: Die erste E-Mail schickte ein Student von Los Angeles nach Stanford.

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