Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Plädoyer für Europa zum Abschied

Der scheidende EZB-Chef Mario Draghi fordert „mehr Euro“– Lob von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble

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FRANKFURT (dpa) - Führende europäisch­e Politiker haben die Verdienste des scheidende­n EZB-Präsidente­n Mario Draghi für den Euroraum gewürdigt. „Du hast den Euro durch unruhige See navigiert“, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Montag anlässlich eines Festaktes in der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) in Frankfurt. Draghi habe den gemeinsame­n Währungsra­um erfolgreic­h durch die EuroSchuld­enkrise geführt, die Unabhängig­keit der EZB bewahrt und die Währungsun­ion gestärkt. Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron betonte, Draghi habe für die Menschen in Europa gehandelt.

Europas scheidende­r oberster Währungshü­ter forderte: „Es ist Zeit für mehr Euro und nicht für weniger.“Europa müsse stärker werden. „In einer globalisie­rten Welt bedeutet geteilte Souveränit­ät mehr Souveränit­ät.“Europa müsse sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen. „Risiken zu teilen kann helfen, Risiken zu verringern“, mahnte Draghi.

Zum 1. November löst die Französin Christine Lagarde den 72-Jährigen an der Spitze der Notenbank ab. Die EZB bekommt damit erstmals eine Chefin. Draghi hatte die Eurozone im Sommer 2012 in der tiefsten Krise ihrer jungen Geschichte mit dem Verspreche­n „die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten“(„Whatever it takes“) stabilisie­rt.

Der frühere deutsche Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) sagte der italienisc­hen Zeitung „Corriere della Sera“, die Aussage sei in jenem Augenblick entscheide­nd gewesen, um die Märkte zu stabilisie­ren. EU-Kommission­schef JeanClaude Juncker lobte, Draghi sei es damit gelungen, Ruhe und Zuversicht zu verbreiten.

Der heutige Bundestags­präsident Schäuble verneinte, dass er und Draghi Gegner gewesen seien. Beide hätten sie unterschie­dliche Aufgaben gehabt, und sie seien nicht immer einer Meinung gewesen, sagte Schäuble. Ihr persönlich­es Verhältnis sei aber gut gewesen, und er habe Draghi und die Unabhängig­keit der Zentralban­k stets respektier­t.

Im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunktur­schwäche im Währungsra­um mit seinen mittlerwei­le 19 Mitgliedst­aaten hatte Europas oberster Währungshü­ter alle Register gezogen: Nullzins, Negativzin­sen für geparkte Gelder von Banken und milliarden­schwere Anleihenkä­ufe. Im

September verschärft­e die EZB ihren Anti-Krisen-Kurs noch einmal – gegen heftige Widerständ­e und zum Leidwesen von Sparern und Banken.

Die EZB habe immer im Rahmen ihres Mandats gehandelt, betonte Draghi. Kritiker insbesonde­re in Deutschlan­d meinen dagegen, dass die Notenbank mit ihrer ultralocke­ren Geldpoliti­k verbotener­weise Staatsfina­nzierung und Wirtschaft­spolitik betreibe.

Lagarde, ehemals französisc­he Finanzmini­sterin und zuletzt Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF), hat bereits Sympathie für eine Fortsetzun­g der ultralocke­ren Geldpoliti­k erkennen lassen. Allerdings will sie mögliche negative Folgen und Nebeneffek­te des EZB-Kurses genauer in den Blick nehmen.

Mit Lagarde besetzt zum zweiten Mal seit Gründung der EZB im Juni 1998 Frankreich den Spitzenpos­ten bei der Zentralban­k. Erster EZB-Präsident war der Niederländ­er Wim Duisenberg (1998 bis 2003), es folgten der Franzose Jean-Claude Trichet (2003 bis 2011) und der Italiener Draghi (seit 1. November 2011).

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FOTO: DPA Mario Draghi, Christine Lagarde: Der scheidende EZB-Präsident übergibt anlässlich des Wechsels an der Spitze der Zentralban­k mit einer Glocke symbolisch den Vorsitz an seine designiert­e Nachfolger­in.

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