Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Handys auf den Tisch
Temporeich, doch grob gestrickt: Die Komödie „Das perfekte Geheimnis“von Bora Dagtekin
MÜNCHEN - Einen Rekord hat der neue Film von Bora Dagtekin schon aufgestellt, denn „Ein perfektes Geheimnis“ist sage und schreibe bereits die elfte Neuverfilmung der erst vor drei Jahren gedrehten italienischen Komödie „Perfetti sconosciuti“von Paolo Genovese. Das beweist vor allem eines: Die Idee hinter dem Drehbuch trifft ins Schwarze.
Diese Idee ist ebenso simpel wie beängstigend: Eine Gruppe von guten Freunden trifft sich zum Abendessen. Um die Stimmung aufzulockern, werden alle Handys auf den Tisch gelegt, alle eingehenden Nachrichten werden verlesen, die Anrufe auf laut gestellt. Privatsphäre ade, sowohl für die Anwesenden als auch für diejenigen, die ohne ihr Wissen mit der ganzen Gruppe kommunizieren. Was ein Spaß sein soll, entwickelt sich zum zerstörerischen Selbstläufer.
Regisseur Bora Dagtekin, der mit „Türkisch für Anfänger“und den drei „Fack ju Göhte“-Filmen bekannt wurde, hat bei der Zusammenstellung seiner Schauspielriege nicht gespart. Produzent Martin Moszkowicz von Constantin dürfte es verschmerzen, hat sich noch jeder Film seines Regiestars bislang bezahlt gemacht. So wurden erst einmal die Hauptdarsteller aus „Fack ju Göhte“, Elyas M’Barek, Jella Haase und Karoline Herfurth, verpflichtet. Wotan Wilke Möhring, Florian David Fitz, Frederick Lau und Jessica Schwarz ergänzen das Gespann der sieben Freunde, die sich zum Abendessen treffen.
Gastgeber in der Runde sind die beruflich Erfolgreichsten: der Schönheitschirurg Rocco (Möhring) und seine Frau, die Psychologin Eva (Schwarz). In der edlen Dachgeschosswohnung ersetzen Bücherregale die Tapeten und signalisieren: Hier wohnt das Bildungsbürgertum. Hingegen begräbt Leo (M’Barek) seine beruflichen Ambitionen zugunsten seiner besser verdienenden Frau Carlotta (Herfurth). Tagein tagaus verteilt er auf dem Spielplatz Apfelschnitze an seine Kinder – und an die gutaussehenden Mütter anderer Kinder. Was nicht ohne Folgen bleibt. Frisch verliebt in die esoterisch angehauchte Bianca (Haase) ist der erfolglose Taxifahrer Simon (Lau). Und Lehrer Pepe (Fitz) sucht, wie bei dem Spiel bald herauskommt, nicht ganz freiwillig eine neue Stelle.
Die ersten eingehenden Nachrichten sind peinlich, aber harmlos – wie zum Beispiel der Anruf, der Evas geplante Brustvergrößerung preisgibt. Aber mit jedem Essensgang werden die Nachrichten prekärer, wird immer klarer, dass nicht nur die Beziehungen zwischen den Männern und Frauen am Tisch verlogen sind. Auch die viel gepriesene Freundschaft der vier Männer bekommt mehr als nur kleine Risse. Was als Spiel begonnen hat, endet in einer rücksichtslosen Schlacht, in der Worte und Fäuste fliegen.
Dass Dagtekin den Nerv der Zeit trifft, Gags passgenau einzustreuen weiß und in seinen Filmen ein außergewöhnliches Tempo vorlegt, beweist er auch in „Das perfekte Geheimnis“wieder. Sofern man sich also nicht an zotigen Witzen stört, steht einem launigen Kinoabend nichts im Wege. Den Erfolg des italienischen Originals beim heimischen
Publikum dürfte die deutsche Variante allerdings wohl nicht erreichen. Zu grob gestrickt sind die Dialoge, zu vorhersehbar die Verwicklungen. Dagtekin ist der perfekte Regisseur für respektlose Teeniekomödien, für eine entlarvende Satire fehlt ihm das Fingerspitzengefühl.
An den ähnlich gelagerten Film „Der Vorname“von Sönke Wortmann (2018), in dem ein Abendessen in einem familiären Fiasko endet, reicht „Das perfekte Geheimnis“nicht heran. Denn wenn ein brillanter Christoph Maria Herbst in seinem Spiel die Verlogenheit innerhalb einer Familie enthüllt, hat das deutlich mehr Fallhöhe. Zudem verzichtet Wortmann in seinem Film auf eine wenig glaubhafte Wendung zum Guten. Dagtekin traut seinem Publikum in dieser Beziehung wohl weniger zu.
Das perfekte Geheimnis. Drehbuch und Regie: Bora Dagtekin. Mit Elyas M’Barek, Karoline Herfurth, Jella Haase, Wotan Wilke Möhring. Deutschland 2019. 118 Minuten. FSK ab 12.