Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Lust am Regieren verloren
Zwei Drittel aller Wahlversprechen hat die Große Koalition zur Mitte der Legislaturperiode umgesetzt. Das ist eine beachtliche Bilanz. Dennoch steht die Regierungskoalition aus Union und SPD in der Öffentlichkeit schlecht da. Angela Merkel macht immer mehr den Eindruck, die Lust am Regieren verloren zu haben. Führung wird von einer Kanzlerin erwartet, nicht etwa die Dinge laufen zu lassen.
Ein Beispiel: Annegret KrampKarrenbauer provoziert in ihrer Funktion als Verteidigungsministerin den Außenminister Heiko Maas. Die CDU-Vorsitzende informiert den SPD-Mann per SMS über ihre auch international nicht abgestimmte Initiative zu Nordsyrien. Dieser revanchiert sich mit einer Reise zum türkischen Außenminister, dessen Regierung eine völkerrechtswidrige Aggression mit massiven Menschenrechtsverletzungen skrupellos vorantreibt. Maas wirkt dabei wie ein beleidigter Pennäler und desavouiert vor laufenden Kameras AKK und gibt so seinerseits die deutsche Außenpolitik der Lächerlichkeit preis. Und die Chefin von beiden? Von ihr ist nichts zu vernehmen, was in Richtung Rapport bei der Vorgesetzten geht.
Für den in jüngster Zeit ungemein präsenten Friedrich Merz ist das Wasser auf die Mühlen für seine mögliche Kanzlerkandidatur. Nach den Wahlen im Osten, nach den Kommunikationsfehlern mit dem YouTuber Rezo und letztlich auch wegen der dilettantisch organisierten Syrien-Idee sinkt der Stern von AKK. Merz hält sich im Spiel mit pointierten Aussagen und öffentlichen Auftritten. Er lauert auf eine Möglichkeit für den Sprung an die Spitze. Doch so einfach, wie es sich hier in Baden-Württemberg einige CDU-Granden erhoffen, ist es nicht.
Am 22. November trifft sich die CDU in Leipzig, aber es ist (noch) kein Wahlparteitag. Die CDU läuft Gefahr, sich ähnlich wie die SPD inhaltlich und personell zu zerlegen. Auch wenn es an der Basis heftig brodelt, der Kanzlerkandidat der konservativen Herzen kommt so nicht zum Ziel. Es sei denn, er wagt sich aus der Deckung und startet die Debatte über AKK und Angela Merkel.
h.groth@schwaebische.de