Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Merz gegen Merkel
Früherer Fraktionschef vermisst „politische Führung“
BERLIN (dpa/smn) - Die Schlappe der CDU bei der Landtagswahl in Thüringen hat den Machtkampf in der Partei neu entfacht. Der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz wertete die Ergebnisse von CDU und SPD als „großes Misstrauensvotum“gegen die Große Koalition in Berlin. Im Mittelpunkt der Kritik stehe ganz überwiegend Kanzlerin Angela Merkel, die „politische Führung und klare Aussagen“vermissen lasse, sagte er im ZDF. Mehrere Politiker von Union und FDP schlossen sich dieser Kritik an. Innenminister Horst Seehofer (CSU) verteidigte dagegen am Dienstag in München die Kanzlerin.
Der Hohenloher CDU-Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten mahnte ein klareres Profil seiner Partei an: „Wir müssen den Wählern klarmachen, wofür wir stehen, genauso wie die SPD auch. Sonst sind die AfD und die Linkspartei, genauso wie die Grünen auch, in zwei Jahren noch stärker.“
BERLIN - Wer sich im Streit auf seinen Posten berufen muss, hat in der Regel einen schlechten Stand. Auch deshalb wirkte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach der stürmischen Vorstandssitzung weniger kämpferisch als vielmehr verzweifelt. Sie sei zum einen der Auffassung, dass über die Kanzlerkandidatur erst 2020 entschieden werden solle und zweitens grundsätzlich überzeugt, dass Kanzleramt und CDU-Vorsitz in eine Hand gehörten. „Wer immer meint, die Frage müsse jetzt in diesem Herbst entschieden werden, der hat auf dem Bundesparteitag die Gelegenheit dazu.“
Tatsächlich ist in der Frage, wer das Erbe von Kanzlerin Angela Merkel antritt, noch nichts entschieden. Als Parteivorsitzende ist Kramp-Karrenbauer auch die natürliche Kanzlerkandidatin. Doch gibt es mindestens vier Männer, die Ambitionen hegen, den einen Job oder sogar beide selbst zu machen. Derzeit drängelt der ehemalige Unionsfraktionschef Friedrich Merz vielleicht am deutlichsten. Doch auch Gesundheitsminister Jens Spahn und der nordrheinwestfälische Regierungschef Armin Laschet halten sich für geeignet. Bayerns Regierungschef Markus Söder steht in Lauerstellung. Ein Blick auf AKKs Konkurrenten:
Jens Spahn – Die Zeit spielt auf
seiner Seite: Seit Jens Spahn bei der Wahl über den Parteivorsitz verloren, aber sehr gut abgeschnitten hat, kritisiert er die Parteiführung nicht mehr, sondern zeigt sich als vorbildlicher Demokrat, der Abstimmungsergebnisse akzeptiert. Das heißt freilich nicht, dass er seine Ambitionen auf beide Posten begraben hätte. Er meldet sie nur nicht mehr ausdrücklich an. Er demonstriert sie. Auf seiner Afrika-Reise hatte er vier Millionen Euro im Kampf gegen Ebola im Gepäck. Das ist eine kleine Summe, etwa im Vergleich zu dem, was das Entwicklungshilfeministerium so leistet und auch im Vergleich zum Einsatz der deutschen Soldaten in Mali, für den ja Kramp-Karrenbauer die Verantwortung trägt. Trotzdem gelang Spahn das Kunststück, dass über seine Reise mehr und wohlwollender berichtet wurde als über Kramp-Karrenbauers Antrittsbesuch im „Camp Castor“zwei Tage später. Spahn polarisiert. Als Gesundheitsminister sammelt er Punkte für ein besseres Image und präsentiert sich gleichzeitig als fleißiger Macher. Einfacher wäre es für seinen Aufstieg, wenn mit Merz und Laschet zwei Konkurrenten nicht ebenfalls aus NordrheinWestfalen stammten. Für ihn spricht die Zeit: 2030 wird Spahn 50 und kommt ins beste Kanzleralter. Merz feiert dann seinen 75. Geburtstag.
Armin Laschet – Rheinländer mit
Linksverdacht: Seine größten Fans sitzen in den Reihen der Grünen, und das wiederum ist zugleich Laschets größtes Problem: Der Verdacht, dass der fröhliche Rheinländer eine noch linkere Politik verfolgt als Angela Merkel. Das macht ihn nicht gerade zum natürlichen Kandidaten derjenigen, die auf einen Kurswechsel hoffen. Strategisch ist Laschet als Chef des größten CDU-Landesverbands bestens platziert. Gegen den 58-Jährigen und seine Truppen geht nicht viel. Zumal er in Düsseldorf eine geräuschlos arbeitende schwarz-gelbe Koalition anführt. Beim Rennen um den Parteivorsitz hielt Laschet sich zurück, was ihm prompt als
Schwäche ausgelegt wurde, jetzt hält er sich im Spiel. Würde er als NRWMinisterpräsident diesen Anspruch aufgeben, könnte er in der Machtpartei CDU gleich einpacken. Andererseits will er womöglich wirklich: Von SPD-Altkanzler Gerhard Schröder ließ er sich jedenfalls als potenziellen Kandidaten bezeichnen. Unüberhörbar sind seine Spitzen gegen KrampKarrenbauer. Zuletzt zog er gegen deren Syrien-Initiative vom Leder – per Interview und kurz vor der Thüringen-Wahl. Das kam nicht nur gut an.
Markus Söder – Der Bienen und
Bauern versöhnt: Der 52-Jährige CSU-Chef steht für die Hoffnung, Gegensätze versöhnen zu können: Grün und Schwarz, Bienen und Bauern – Markus Söder bringt das alles scheinbar spielend unter einen Trachtenhut. Er kann außerdem 40
Prozent plus x bei der Europawahl vorweisen, was gemessen an alten CSU-Ansprüchen zwar eher mickrig, gemessen an den CDU-Realitäten aber traumhaft ist. Dennoch: So verzweifelt, dass sie nach Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber wieder auf einen Christsozialen zurückgreifen würde, ist die
CDU wohl noch nicht. Und Söders breitbeinige Art geht auch machtbewussten Christdemokraten mitunter auf den Senkel. Hinzu kommt: Ob Söder selbst das Wagnis überhaupt eingehen würde, ist mehr als fraglich. Er hat mit Regierungs- und Parteiamt nun genau die Posten inne, auf die er hingearbeitet hat. „Traumjob gefunden“, sagt er selbst. Trotzdem gefällt es ihm natürlich, genannt zu werden. Und bei der Kandidatenkür wird er als CSU-Vorsitzender ein wichtiges Wort mitzureden haben, was neben grundsätzlichen Erwägungen auch der Grund dafür ist, warum er das Ansinnen einer Urwahl des Kanzlerkandidaten nicht unterstützt. Die Entscheidung soll Chefsache bleiben.
Friedrich Merz – Er ist zurück:
Nach der Niederlage gegen AKK auf dem CDU-Parteitag vor einem Jahr war es vorübergehend still um ihn geworden. Das ist vorbei: Friedrich Merz ist zurück und zwar mit Wucht. Mit Einwürfen von allen Seiten macht er unverhohlen klar, was er vom aktuellen Regierungskurs hält: gar nichts; und wie sich das ändern könnte: mit ihm als Bundeskanzler nämlich. Dass Merkel wie vorgesehen bis 2021 bleibt, „das geht einfach nicht“, verkündete er nach der verlorenen Thüringen-Wahl. Merz’ Ambitionen, erst die Kanzlerkandidatur und dann wohl auch den Parteivorsitz zu übernehmen, stehen Hindernisse im Weg. Zum einen die Verfassung, die in dieser Hinsicht auf Seiten Merkels ist. Zum anderen bringt Merz zwar eine Halle voller Unions-Nachwuchs zum Toben, ob er aber die Gesamtpartei hinter sich versammeln kann, ist offen. Eine echte Machtbasis hat er nicht, er wäre dringend auf die Unterstützung seines NRW-Kollegen Laschet angewiesen. Der aber hat womöglich eigene Pläne. Merz muss sich nun im Gespräch halten. Still wird er nicht mehr werden.