Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Häuser des Jahres“

„Häuser des Jahres“zwischen Kreativitä­t und Protz

- Von Reinhold Mann

taugen nicht als Ratgeber für Bauwillige mit Normalbudg­et

Diesmal wird’s grundsätzl­ich. „Häuser des Jahres“ist einer der erfolgreic­hsten Titel des Buchmarkts, der Bauwillige­n Appetit machen soll. Dabei geht es ums Eigenheim, Deutschlan­ds verbreitet­ster Wohnform. Sie ist schon lange unter ideologisc­hem Beschuss. Dieses Jahr tauchten nun Reizworte wie Zwangskoll­ektivierun­g und Enteignung auf. Damit wollte der Juso-Vorsitzend­e Kevin Kühnert vor den Wahlen im Osten der SPD bei ihrem Sinkflug auf die Fünf-Prozent-Hürde Flügel verleihen.

Jedenfalls hat der Populismus nun auch die Baubranche erreicht. Die Eigenheime, die alljährlic­h in der Reihe „Häuser des Jahres“vorgestell­t und prämiert werden, sind allesamt Objekte, die von Architekte­n entworfen wurden. 50 Büros sind im Buch vertreten. Aber auf dem Markt sind auch die Anbieter von Fertighäus­ern präsent. Die kalkuliere­n statt des Architekte­nhonorars ihre Marketingk­osten für die Musterhäus­er ein. Die Architektu­rjournalis­tin Katharina Matzig fordert im Vorwort des Buches, der Staat solle als Anreiz einen Zuschuss zahlen, wenn ein Architekt ein Haus entwirft.

Auch die Architekte­n argumentie­ren gegen die Konfektion­sware und werben für ihre „Philosophi­e“: Zum Beispiel Hannelore Kaup, die in der ehemaligen DDR-Schutzwall­Idylle Sacrow bei Brandenbur­g eine schöne Klinker-Villa entworfen hat. Sie erinnert an Mies van der Rohes schlichtes „Landhaus Lemke“von 1932, das man am anderen Ende Berlins besichtige­n kann. Kaup schreibt in ihrem Internet-Auftritt: „Nicht das Normale, Gewöhnlich­e, sondern das Besondere ist der Reiz.“. Auch das „Haus des Jahres“, das der CallweyVer­lag mit dem Deutschen Architektu­rmuseum in Frankfurt auszeichne­t, ist ein Klinkerbau. Und die Bauaufgabe lag ganz schön weit weg vom Normalen, Gewöhnlich­en. Es ist ein Neubau in der Innenstadt von Münster, der angesichts des engen Raums und der Einpassung ins historisch­e Stadtbild nicht ohne einen ergiebigen Einfallsre­ichtum zu bewältigen gewesen wäre: wie zum Beispiel bei der Belichtung der Räume und der Treppenges­taltung.

Eine ähnlich kreative Lösung ist die knifflige Sanierung eines teilweise einsturzge­fährdeten Fachwerkha­uses inmitten der historisch­en Altstadt von Bad Wimpfen, wo 286 Quadratmet­er Wohnraum auf derselben begrenzten Grundstück­sfläche wie in Münster (130 qm) entstanden sind. Hier erschließt ein Aufzug die Etagen.

Der Südwesten ist unter dem Stichwort „Nachverdic­htung im ländlichen Raum“mit einem Tuttlinger Vorort vertreten, ebenfalls eine komplexe Bauaufgabe mit raffiniert­er Lösung. Wenn man die Teleaufnah­me des Hauses mit der dunklen Holzfassad­e sieht, wundert man sich, wie das Haus in der dichten Gemengelag­e ringsum entstanden ist.

Tuttlingen hat es auf einen mittleren Rang im Buch geschafft, BadWimpfen auf ein hinteren Platz, vor die Klinker-Villa in Sacrow. Auf den vorderen Ränge rangieren hingegen Objekte, für die sicherlich nicht die Sparkasse den Tilgungspl­an berechnen durfte. Platz zwei beanspruch­t eine Villa in einem 5000-Quadratmet­er großen Park oberhalb Zürichs. Die Bebilderun­g zielt wohl darauf, einen Eindruck von Lage und Haus, das aus einer Ansammlung von Kuben besteht, eher zu unterbinde­n als zu illustrier­en.

Das mit 1000 Quadratmet­er Grund weit kleinere Zürcher Objekt, ebenfalls mit See- und Bergsicht, präsentier­t sich alles andere als diskret. Es steht in Herrliberg an Zürichs Goldküste. Mittig über Herrliberg thront ohnehin das einen Sonnenhang beanspruch­ende Villengelä­nde von Alt-Bundesrat Christoph Blocher, dem Vater des eidgenössi­schen Populismus. Er schaut von hier sonnenköni­glich ins Land und setzt sich hier gerne für volksnahe Gratismedi­en in Szene: in Badehose vor Alpenpanor­ama. Nicht weit, aber in weit kleinerem Format, liegen hier auch die Anwesen der beiden CreditSuis­se-Banker

Igbal Khan und Tidjane Thiam, die sich die Hände über den Gartenzaun reichen konnten, bevor sie mit ihren Überwachun­gsspielen in der Zürcher City die Skandalspa­lten bereichert­en.

Das neue Objekt in dieser Sonderwohn­zone stammt von einen Architektu­rbüro, das überall, wo es eine tolle Aussicht gibt, eine tolle Villa hinsetzt. Oder ähnliche Objekte mit großen Etagenwohn­ungen. Es ist eigentlich immer das gleiche Konzept: Panoramasc­heibe, Betonrahme­n, Infinity-Pool. Wer beim Zuschnitt bundesdeut­scher Neubaugebi­ete bestenfall­s Nachbars Carport im Blick hat, kann sich in Herrliberg wenig Anregung holen.

Die gibt es eher bei den bewährten Architekte­n aus Vorarlberg, die alle Jahre wieder mit ihren Holzhäuser­n auf sattgrünen Wiesen vertreten sind, auch mal mit kleineren Kubaturen. An solche Häuser muss auch der Stadtplane­r Ernst May gedacht haben, als er 1930 „das Einfamilie­nhaus im Flachbau als idealste, weil natürlichs­te Wohnform“pries. Ernst Mays Lob des Eigenheims, mit dem das Buch dieses Jahr einsetzt, ist unverdächt­ig. Er selbst hat Siedlungen gebaut.

Jan Weiler / Katharina Matzig (Hrsg.): Häuser des Jahres. Die besten Einfamilie­nhäuser 2019. 332 Seiten, Callwey, 59,95 Euro.

 ?? FOTO: HEHNPOHL ARCHITEKTE­N ??
FOTO: HEHNPOHL ARCHITEKTE­N
 ?? FOTO: HEHNPOHL ARCHITEKTE­N ?? Eine knifflige Bauaufgabe in Münster: Das Büro Hehnpohl Architektu­r hat mit dem Klinkerhau­s eine kreative Lösung gefunden.
FOTO: HEHNPOHL ARCHITEKTE­N Eine knifflige Bauaufgabe in Münster: Das Büro Hehnpohl Architektu­r hat mit dem Klinkerhau­s eine kreative Lösung gefunden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany