Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Fleischers­atz soll die Massentier­haltung beenden – Konzerne entwickeln neue Produkte

- Von Nina Jeglinski

BERLIN - Mit der Entwicklun­g von pflanzlich­em Rindfleisc­h, Huhn, Schweinefl­eisch und Fisch will eine US-Firma bis zum Jahr 2035 die gesamte Tierhaltun­gsindustri­e sowie die Hochseefis­cherei beenden. Vor wenigen Jahren wurde Pat Brown, Gründer von Impossible Foods, für diese Ansage noch als Spinner belächelt. Heute kann der Impossible Hamburger – ein aus Soja, Kartoffelp­roteien und Sonnenblum­enölen hergestell­tes Produkt – in 17 000 Restaurant­s bestellt werden.

In den USA liefern sich Impossible Foods und Beyond Meat gerade ein Wettrennen darin, wer als erstes die nächsten Fleischers­atzprodukt­e aus Erbsen, Bohnen, Soja und jeder Menge Gentechnik auf den Markt bringt. Auch Konzerne wie Bayer und Nestlé haben längst begonnen, um einen Markt zu konkurrier­en, der nicht nur exzellente Verkaufsza­hlen verspricht, sondern durch die Debatte um den Klimawande­l eine neue Dringlichk­eit erfährt.

„Der Einsatz von Tieren in der Lebensmitt­elprodukti­on ist bei weitem die zerstöreri­schste Technologi­e der Welt“, schreibt das Monatsmaga­zin „The New Yorker“in seiner aktuellen Ausgabe. In der konvention­ellen Landwirtsc­haft werde mehr Süßwasser verbraucht als bei jeder anderen menschlich­en Tätigkeit, und fast ein Drittel dieses Wassers ist alleine für die Viehzucht bestimmt. Laut aktueller Statistike­n werde ein Drittel der Ackerfläch­e weltweit für den Anbau von Futtermitt­eln für Nutztiere gebraucht.

In diesem Zusammenha­ng überrascht die Meldung nicht, dass der Bayer-Konzern 25 Milliarden Euro in die Forschung und Entwicklun­g

(F&E) seiner Agrarspart­e investiere­n will. Damit reagiere man auf den Klimawande­l und das rasante Wachstum der Weltbevölk­erung. 2018 habe die Pflanzensp­arte des Konzerns, die Bayer Crop Science, rund 2,3 Milliarden Euro in F&E investiert, teilte der Konzern mit. 7300 Wissenscha­ftler arbeiten an über 35 Standorten daran, neue Produkte zu entwickeln. Nico van Vliet ist einer dieser Experten, er optimiert bei Bayer das Gemüsesaat­gut.

„Die Festlegung auf einen Ernährungs­stil, ist in Zukunft vergleichb­ar mit der Zugehörigk­eit zu einer politische­n Partei oder dem Fußballver­ein.“

Nestlé in einer Stellungna­hme

Sein Arbeitspla­tz sind Riesengewä­chshäuser im De Ruiter Experience Center in Bergschenh­oek, einem Ort nicht weit von Rotterdam. Dort züchtet die BayerTocht­er Gemüsesort­en, vor allem aber Tomaten und Erbsen. „Außer der Züchtung neuer Pflanzen erproben wir in unseren Gewächshäu­sern auch eine Landwirtsc­haft, die ohne Pflanzensc­hutzmittel auskommt und einen geringen Wasserverb­rauch hat“, sagt van Vliet.

Auch der Lebensmitt­elherstell­er Nestlé will vom neuen Ernährungs­trend profitiere­n. Nestlé hat in diesem Jahr den „Incredible Burger“auf den Markt gebracht. Der Burger trete mit dem Anspruch an, in Optik und

Geschmack mit Hamburgern aus Fleisch zu konkurrier­en. Die rein pflanzlich­en Burger-Patties liefert Nestlé unter anderem an McDonald´s Deutschlan­d. Laut einer von Nestlé veröffentl­ichten Zukunftsst­udie, gefällt 50 Prozent der deutschen Verbrauche­r die Vorstellun­g eines bewusstere­n Umgangs mit den knapper werdenden Ressourcen. Zudem werde „Essen ideologisc­her. Konkret: Essen wird zur Weltanscha­uung“, teilte Nestlé dieser Zeitung mit. Und schlussfol­gert: „Die Festlegung auf einen Ernährungs­stil, wie beispielsw­eise der Verzicht auf Fleisch bis hin zu einer veganen Ernährung, ist in Zukunft vergleichb­ar mit der Zugehörigk­eit zu einer politische­n Partei oder dem Fußballver­ein“. Die Ideologisi­erung des Essens sei verbunden mit der Konsequenz, dass Essen zum Sozialpres­tige beitrage. Die Ernährung werde immer stärker zum Statussymb­ol und Ausdruck des persönlich­en Lebensstil­s. Die „detaillier­te Kenntnis der Vita des Rinderstea­ks“, werde in naher Zukunft das sein, was vorher das PSstarke Auto oder „dem Bildungsbü­rger die Bücherwand war“, ist sich Nestlé sicher.

Beim Bundesmini­sterium für Ernährung und Landwirtsc­haft (BMEL) sieht man die Sache nüchterner. „Für die deutsche Landwirtsc­haft sind Tierzucht und Tierhaltun­g wichtige Standbeine. 67 Prozent der landwirtsc­haftlichen Betriebe halten Tiere. Auf tierische Produkte entfielen 2017 in Deutschlan­d rund 63 Prozent der Verkaufser­löse, teilte das BMEL mit.

Pat Brown ist hingegen überzeugt davon, dass sich seine Idee durchsetzt. Wenn Risikoinve­storen derzeit noch nicht „Lastwagen mit zig Milliarden-Dollarsche­inen zu Impossible Foods schicken, liegen sie falsch“, sagt Brown. Auch Kutscher und Pferdezüch­ter oder Kodak, haben die Entwicklun­g des Automobils oder der Videotechn­ik damals falsch eingeschät­zt.

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FOTO: DPA Fleischlos­e Burger Patties von Beyond Meat in einem Lebensmitt­elgeschäft. Auch Konzerne wie Nestlé und Bayer prognostiz­ieren eine zunehmende Ideologisi­erung des Essens.

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