Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zur Armut verdammt
Das Stück zur Migrationsdebatte: Steinbecks „Früchte des Zorns“am Schauspielhaus Zürich
ZÜRICH - Als der Roman 1939 erschien, war die Welt so wenig in Ordnung wie heute. In Deutschland mordeten die Nationalsozialisten, in den USA sah John Steinbeck sich Anfeindungen der politischen Rechten ausgesetzt, als er die Geschichte der Armutsmigration und brutalen Bereicherung von Großgrundbesitzern thematisierte. Für „Früchte des Zorns“erhielt er den Nobelpreis; John Ford verfilmte „The Grapes of Wrath“mit Henry Fonda.
In Zürich hat Christopher Rüping mit einer Bühnenversion des Romans jetzt verblüffende Parallelen zur heutigen Armutsmigration aufgezeigt.
Steinbecks Farmerfamilie Joad ist doppelt gestraft – durch die große Dürre und die große Depression. Die Joads werden von Großgrundbesitzern vertrieben und machen sich auf den Weg in den Westen. In Kalifornien geht es ihnen allerdings wie es heutigen Migranten ergeht: Im Land der Träume treffen sie auf Menschen, die sie nicht haben wollen.
Christopher Rüping nimmt den schmerzhaft nüchternen Ton auf, ist als Regisseur aber ein verblüffend eigenständiger Erzähler und inszeniert die Schauspielerinnen und Schauspieler so, dass Macht- und Klassenverhältnisse abgebildet werden. Sein Trick: Da sind nicht nur die Mutter der Familie, der gerade aus dem Gefängnis entlassene Sohn Tom und die schwangere Tochter Rose. Rüping schickt auch eine „Gucci Gang“ins Rennen, die die Familie Joad in Markenklamotten umschwirrt. Die Highend-Kosumenten machen den armen Neuankömmlingen klar, dass sie nicht dazugehören.
Nicht genug damit. Gottfried Breitfuss, Kotos Karasawa, Benjamin Lillie, Wiebke Mollenhauer und Steven Sowah bemächtigen sich auch der Geschichte der Joads. Zu Beginn stehen Maja Beckmann (Mutter Joad), Nils Kahnwald (Sohn Joad) und Nadège Sowah (Tochter Joad) in schwarzen Overalls auf der leeren Bühne und sagen kein Wort. Erzähler der Farmersaga sind die Guccis. Sie treiben die Geschichte voran und flüstern den Landeiern ein, was sie sagen sollen.
Das Geld dieser Welt ist verteilt und der Traum vom besseren Leben in vermeintlich reicheren Landstrichen ausgeträumt. Das wird dadurch deutlich, dass die Joads wie Statisten auf der Bühne stehen. Sie sind zur Armut Verdammte, denen vorgespielt wird, wie aussichtslos ihre Lage ist. Selbst die saftigen Früchte, die den Einwanderern in Kaliforniens Orange Counties von den Bäumen in den Mund wachsen sollen, sind ein illusionäres Markenprodukt. Irgendwann installieren die Guccis auf der Bühne einen Pappmachebaum mit märchenhaft prallen Orangen, und dann streifen sie sich über ihre FakeKlamotten auch noch Orangen-, Ananas-, Erdbeer- und Melonen-Attrappen. Das kalifornische Paradies: ein grausames Fruchtmärchen.
Indem Rüping Steinbecks Romanhelden als entmündigte Nobodys und die Guccis als übergriffige Stellvertreter inszeniert, umgeht er eine Falle, in der Romanadaptionen häufig landen: dass Schauspielerinnen und Schauspieler die epische Handlung lediglich nacherzählen und man doch lieber das Original gelesen hätte.
Christopher Rüping wurde vor Kurzem wegen seiner mehr als zehnstündigen Antiken-Überwältigung „Dionysos Stadt“(Kammerspiele München) zum Regisseur des Jahres gewählt. Für das Züricher Schauspielhaus und das neue Leitungsteam Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann hat er jetzt die erste Eigenproduktion der Saison inszeniert. Das Leitungsteam will den hoch erhitzten Theaterbetrieb abkühlen, indem es nicht mehr so viele hauseigene Inszenierungen anbietet. Stattdessen setzt man auf einen Austausch mit renommierten Theatern wie dem holländischen Stadstheater NTGent.