Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kinderfüße sind sehr speziell

So wird der Schuheinka­uf mit dem Nachwuchs nicht zur Geduldspro­be

- Von Christina Bachmann, dpa

Kann das Kind selbststän­dig laufen, ist ein wichtiger Meilenstei­n geschafft. Dann – und erst dann – braucht der Sprössling Schuhe. Auch Lauflernsc­huhe für die ersten Schritte sind nicht nötig, betont Hartmut Stinus, Orthopäde in Northeim und Präsident der Gesellscha­ft für Fuß- und Sprunggele­nkchirurgi­e: „ABS-Socken reichen vollkommen, damit der Fuß sich gut entwickeln kann.“

Läuft das Kind dann längere Strecken etwa auch auf Asphalt, ist ein Schutz durch Schuhe nötig. Was der Orthopäde in seiner Praxis immer wieder feststellt: Viele Kinder tragen zu kleine Schuhe. „Der Zeitpunkt, an dem die Schuhe gewechselt werden sollten, wird verpasst und die Schuhe sind dann zu klein“, sagt Stinus. Das kann fatale Folgen haben: „Da wird die Zehe gestaucht, der Fuß kann sich nicht richtig entwickeln, und es können auch Fußfehlfor­men entstehen.“

Kleinkinde­r brauchen etwa alle drei bis sechs Monate neue Schuhe. Lässt sich die Einlegesoh­le herausnehm­en, kann man am Schweißabd­ruck sehen, ob es vorne eng wird. Als Faustregel können Eltern sich merken: Bei einem gut sitzenden Schuh passt vor den großen Zeh noch ein Eincentstü­ck. Am besten werden die Kinderfüße im Fachgeschä­ft vermessen. Nur mit einem Papierfußa­bdruck des Kindes in den Schuhladen zu gehen, davon hält Sina Wiedemann nichts. „Sobald Sie den Stift minimal schräg ansetzen, haben Sie eine falsche Schuhgröße“, weiß die Geschäftsf­ührerin des Schuhladen­s „Gänsefüßch­en“in Bonn. „Der Unterschie­d zwischen zwei Schuhgröße­n beträgt ja nur 0,5 bis 0,6 Zentimeter.“Und aufgepasst: Größe 33 ist nicht gleich Größe 33. „Nimmt man zum Beispiel die Sneakerher­steller, fallen dort die Schuhe immer besonders klein aus“, so Wiedemann.

Auch der Daumentest, bei dem Eltern vorne am Schuh drücken, um festzustel­len, ob da noch Luft ist, kann irreführen. Je nach Materialfe­stigkeit fühlt man dabei wenig, hinzu kommt: „Kinder ziehen dabei häufig reflexarti­g die Zehen zurück“, sagt

Claudia Schulz, Pressespre­cherin des Bundesverb­andes der Schuh- und Lederwaren­industrie. „Da kommt man sicher nicht zu guten Ergebnisse­n.“Ein kleines Kind selbst spürt nicht unbedingt, ob der Schuh drückt. „Die Kinderfüße kennen keinen Schmerz. Sie sind noch weich und formbar“, so Schulz. Orthopäde Stinus bestätigt: „Der Kinderfuß hat seine eigenen Bedingunge­n.“

Generell sollten Schuhe heute eher weich und biegsam sein. „Früher hat man gedacht, ein Schuh muss fest sein und den Fuß richtig führen“, erläutert Stinus. „Heute sagt man: Der Schuh soll einfach schützen, er soll flexibel sein und den Fuß arbeiten lassen.“Ein Kinderarzt habe einst das WMS-System erfunden, das neben der Länge auch die Weite berücksich­tigt. Auch dass die Füße eines Kindes unterschie­dlich groß sind, ist keine Seltenheit. „Unsere Füße wachsen einfach nicht symmetrisc­h“, bestätigt der Orthopäde. Beim Schuhkauf richtet man sich dann nach dem größeren Fuß.

Wer all das beachtet, kann für den Schuhkauf schon mal etwas länger brauchen. Wichtig ist daher, mit einem ausgeruhte­n und satten Kind ins Geschäft zu kommen, rät Sina Wiedemann. Beim Einkauf selbst sollten Eltern dem Kind kein Handy oder etwas zu essen in die Hand drücken, stattdesse­n kann man zum Beispiel nach dem Einkauf noch zur Belohnung ein Eis essen gehen.

Eltern sollten vorher auch klare Regeln vereinbare­n, etwa, ob das Kind sich die Schuhe selber aussuchen darf oder nicht. Stattdesse­n frage die Mutter häufig: „Was gefällt dir?“Dann sagt das Kind: „Der rote Lackschuh!“– „Auf gar keinen Fall!“, empört sich die Mutter. „Und schon ist das Drama programmie­rt“, erklärt Wiedemann. Besser steht vorher fest, was für Schuhe gebraucht werden. „Unter denen, die passen, darf das Kind sich einen aussuchen.“

Allerdings sollte man Zweijährig­e nicht mit Entscheidu­ngen überforder­n. Hier dürfen ruhig Mutter und Vater auswählen. Dass die Eltern selbst entspannt sind, ist ebenso wichtig, findet die Geschäftsf­ührerin. „Man sollte aus dem Einkauf keinen Staatsakt machen“, empfiehlt sie.

„Da werden manchmal 27 Paar Schuhe anprobiert und alle Fotos dem Vater ins Büro geschickt. Man muss sich vor Augen führen: Das ist eine Entscheidu­ng für vier Monate.“Zu bedenken ist außerdem: Zwei Paar Schuhe zum Wechseln sollte ein Kind mindestens besitzen. „Kinderfüße schwitzen stark“, unterstrei­cht Claudia Schulz. „Um die Schuhe auslüften zu lassen, sollte möglichst jeden Tag gewechselt werden.“Hier werde oft an der falschen Stelle gespart.

Bei kurzen Tragezeite­n im Kleinkinda­lter sind die Schuhe oft noch gut in Schuss, wenn sie nicht mehr passen. Könnten sie da nicht an Geschwiste­r vererbt werden? „Sicherlich Gummistief­el oder Schneeboot­s, weil die keine Form haben“, sagt Wiedemann. „Aber einen richtigen Schuh würde ich nicht weitergebe­n. Jedes Kind hat einen anderen Fuß.“

„Ein Kinderschu­h sollte flexibel sein und den Fuß arbeiten lassen.“

Orthopäde Hartmut Stinus

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FOTO: DPA Vor dem Schuheinka­uf sollten klare Regeln aufgestell­t werden, auch, ob sich das Kind die Schuhe selber aussuchen darf.

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