Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Angeklagte­r bricht sein Schweigen

Gegen mutmaßlich­en Messerangr­eifer aus Friedrichs­hafen ging das Verfahren weiter – Er fühlt sich ungerecht behandelt

- Von Britta Baier

FRIEDRICHS­HAFEN - Das Verfahren gegen den mutmaßlich­en Messerangr­eifer aus Friedrichs­hafen ist am Dienstag fortgesetz­t worden. Wie berichtet hatte sein Verteidige­r einen Befangenhe­itsantrag gegen Richter und Schöffen gestellt, der vom Gericht als unzulässig abgelehnt wurde. Am Ende des Sitzungsta­ges ergriff der Angeklagte erstmals das Wort. „Ich will, dass es hier gerecht läuft“, rief er aufgebrach­t.

Der damals 21-Jährige hat bereits eingeräumt, in der Nacht auf den 3. März diesen Jahres seine Exfreundin, die sich zuvor nach rund acht Wochen Beziehung von ihm getrennt hatte, mit 46 Messerstic­hen hinter einer Diskothek im Häfler Fallenbrun­nen lebensgefä­hrlich verletzt zu haben. Zahlreiche Narben - darunter die längste mit rund zehn Zentimeter­n am Bauch - sind bis heute auf ihrem gesamten Körper sichtbar. Mit einer Reihe von Anträgen der Verteidigu­ng begann die Sitzung am Dienstag. Zum einen solle vom Gericht festgestel­lt werden, dass die Zahlung von 15 000 Euro Schmerzens­geld ausreichen­d sei – die Nebenklage­verteidigu­ng hatte mindestens 30 000 Euro gefordert. Wie die Verteidigu­ng ausführte, sei die 17-Jährige „nicht nachhaltig traumatisi­ert“, da zwischen den Terminen bei einem Psychologe­n eine Pause von Mai bis September gelegen habe. Zudem sei die Jugendlich­e zwei Wochen nach ihrer Klinik-Entlassung in einer Shishabar gesehen worden. Es sei „keine psychologi­sche Behandlung­sbedürftig­keit“erkennbar, weshalb das Schmerzens­geld ausreichen­d sei.

Außerdem wies der Verteidige­r daraufhin, dass sein Mandant „ernsthaft

an einem Täter-Opfer-Ausgleich“interessie­rt gewesen sei, das Opfer diesen aber bis heute ablehne. Der Anwalt verlas eine Entschuldi­gung, die der Angeklagte vergangene Woche an seine Exfreundin verfasst habe. „Ich kann mich nur nochmals für mein komplettes Versagen entschuldi­gen.“Er wolle dafür sorgen, dem Mädchen einen „gewissen finanziell­en Ausgleich“zu schaffen. „Ich bitte Dich, meine Entschuldi­gung zu akzeptiere­n. Du brauchst nie wieder Angst vor mir zu haben“, versichert­e er. Zum Schluss stellte sein Verteidige­r einen Beweisantr­ag auf ein weiteres psychiatri­sches Gutachten. Hintergrun­d ist das der gerichtlic­hen Sachverstä­ndigen Roswita Hietel-Weniger, die dem Angeklagte­n weder eine Schuldmind­erung, Bewusstsei­nsstörung oder Affekthand­lung bescheinig­te. Nicht der Alkoholkon­sum sei ihrer Meinung nach der vorherrsch­ende Tatgrund gewesen, sondern die Kränkung und der Besitzverl­ust. Bei diesem Gutachten seien jedoch „wesentlich­e Erkenntnis­se außer Acht gelassen“worden, denn aus Sicht der Verteidigu­ng seien die Anzahl und Struktur der Stiche „typisch für eine Affekthand­lung“. Auch die Äußerung der Trennung sowie der Alkoholkon­sum habe an diesem Abend zu dem Affektaufb­au gehört. Der Verteidige­r unterstell­te der Sachverstä­ndigen, „nicht über die notwendige­n Fachkenntn­isse“zu verfügen. Sein Mandant leide aus seiner Sicht womöglich an einer „krankhafte­n seelischen Störung“, weshalb er ein weiteres Gutachten vorschlug - was nicht nur von Staatsanwa­ltschaft und Nebenklage­verteidigu­ng

abgelehnt wurde, sondern auch nach langer Unterbrech­ung von Richter Veiko Böhm.

Sehr wohl habe sich Roswita Hietel-Weniger mit der Möglichkei­t einer Affekthand­lung beschäftig­t – doch da zum einen die Trennung für den Angeklagte­n in der Tatnacht nicht überrasche­nd kam und dieser bereits seit Tagen das Tatwerkzeu­g, ein Küchenmess­er, mit sich herumgetra­gen habe, sei ein Handeln im Affekt auszuschli­eßen. Die Sachverstä­ndige habe sich zudem durch ein sechsstünd­iges Gespräch und diverse Unterlagen auch mit der Möglichkei­t einer psychische­n Störung befasst, habe diese aber nicht feststelle­n können.

„Wovor habt Ihr denn Angst“, rief der Angeklagte plötzlich, nachdem der Richter seine Begründung für die Ablehnung beendet hatte. Bislang hatte der junge Mann den gesamten Prozess über geschwiege­n, sich auch zu seiner Person und der Tat ausschließ­lich schriftlic­h geäußert und Fragen abgelehnt. Stattdesse­n verfolgte er meist mit gesenktem Kopf und nach außen hin ruhig dem Verhandlun­gsverlauf. Doch damit war es am frühen Abend vorbei: „Es geht hier um meine Zukunft, ich will, dass es hier gerecht zugeht. Was spricht denn gegen eine andere profession­elle Gutachteri­n“, wurde er gegenüber der Richterban­k laut, auch das Beschwicht­igen seines Verteidige­rs brachte nichts. „Wir haben unsere Gründe dargelegt“, versuchte der Richter zu erklären – doch der Angeklagte fiel ihm immer wieder laut aufgebrach­t ins Wort. Schließlic­h wurde die Sitzung auf den 19. November, 13.30 Uhr, vertagt – dann sollen voraussich­tlich die Plädoyers gehalten werden.

 ?? FOTO: DPA ?? Gegen den mutmaßlich­en Messerangr­eifer aus Friedrichs­hafen wurde das Verfahren fortgesetz­t.
FOTO: DPA Gegen den mutmaßlich­en Messerangr­eifer aus Friedrichs­hafen wurde das Verfahren fortgesetz­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany