Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Mir wird angst und bange, die auf den Platz zu lassen“
Nach den jüngsten Attacken gegen Schiedsrichter im Amateurfußball – so ist die Situation bei uns
RAVENSBURG - Der Schock sitzt noch immer tief: Am Wochenende wurde bei einem Kreisligaspiel in Münster ein junger Schiedsrichter von einem Spieler bewusstlos geschlagen. Gewalt gegen Schiedsrichter im Amateurfußball nimmt immer mehr zu. In Berlin streiken nun am Wochenende die Schiedsrichter, um ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen. Darum wird der gesamte Amateurfußball in der Hauptstadt ruhen. Auch hierzulande gehört es mittlerweile fast zum traurigen Alltag, dass Fußball-Schiedsrichter mindestens verbal attackiert werden und Spieler oder Fans ausrasten. Michael Panzram hat sich mit Ralf Hübner, Obmann der Schiedsrichtergruppe Ravensburg, über den Streik in Berlin und die Zustände in Oberschwaben unterhalten.
In Berlin werden die Schiedsrichter am Wochenende streiken, um in aller Deutlichkeit auf die zunehmende Gewalt gegen sie aufmerksam zu machen. Wie bewerten Sie diese Aktion?
Ralf Hübner: Man muss ein Zeichen setzen. Das ist klar. Das ist eine geeignete Maßnahme, um Aufmerksamkeit zu erregen. Tätliche
Angriffe gegen Schiedsrichter gehen überhaupt nicht. Ich finde es gut, dass in Berlin gestreikt wird. Das geht aber nur, wenn der ganze Verband dahintersteht. Das ist in Württemberg leider nicht der Fall. Da gab es auch Vorfälle im Stuttgarter Raum, die einen Streik nach sich ziehen hätten können. Außer ein paar Strafen wie längere Spielsperren ist aber nicht viel passiert.
Wären Sie für härtere Strafen oder wo würden Sie ansetzen?
Härtere Strafen können ein Mittel sein. Letztendlich geht es aber um die allgemeine Wertschätzung uns Schiedsrichtern gegenüber. Die geht nämlich immer mehr verloren. Die Folge ist, dass uns der Nachwuchs fehlt. Schiedsrichter sein soll ein schönes Hobby sein. Aber wenn man immer nur der Verlierer ist, macht es einfach keinen Spaß mehr.
Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen als Schiedsrichter?
Ich habe schon Oberliga gepfiffen und kann mit bestimmten Situationen umgehen. Beleidigungen erlebe ich auch immer wieder. Das bin ich gewohnt. Ich mache mir vielmehr Sorgen um die Neulinge. Wir haben gerade einen Kurs mit vielen 13oder 14-Jährigen. Da wird es mir angst und bange, die auf den Platz zu lassen. Es gab gerade einen Vorfall in der Wangener Region. Da ist bei einem Jugendspiel ein junger
Schiedsrichter so beleidigt worden, dass er anschließend weinend in der Kabine saß. Da sage ich: Wenn sich das nicht ändert, werden wir irgendwann keine Schiedsrichter mehr haben.
Bei einem Kreisliga-C-Spiel im hessischen Münster wurde vor wenigen Tagen ein junger Schiedsrichter bewusstlos geschlagen. Wie bewerten Sie diesen Fall?
Ich habe das Video gesehen. Das ist erschreckend. Wo soll das noch hinführen? Ich kann verstehen, dass die Berliner Kollegen befürchten, dass es mal den ersten toten Schiedsrichter geben wird. Hätte der Spieler in Münster den jungen Schiedsrichter anders getroffen, wäre es vielleicht schon so weit gewesen. Wir von der Schiedsrichtergruppe Ravensburg besetzen in einer Saison etwa 3500 Spiele, von der jüngsten Jugend bis zu den Aktiven. Gerade bin ich jedes Wochenende einfach nur froh, wenn ich meine Spiele rumkriege. Ich warte nur darauf, dass auch bei mir am Sonntag das Telefon läutet und jemand sagt: Ich bin geschlagen worden.
Wo müsste angesetzt werden, um die Sinne aller Beteiligten zu schärfen?
Das Verständnis für Schiedsrichter muss ein anderes werden. Die Leute wissen gar nicht wie schwierig es ist, alle Regeln zu kennen und in Sekundenbruchteilen zu entscheiden. Wer das noch nie selber gemacht hat, kann das nicht beurteilen. Der Umgang miteinander, zwischen Spielern und Unparteiischen muss viel besser werden. Da geht es einerseits um die Wertschätzung der Spieler für die Leistung der Schiedsrichter. Aber auch wir müssen uns an die eigene Nase fassen. Der Schulungsbesuch nimmt leider ab. Dabei wäre das so wichtig, um immer bei den Regeln auf Ballhöhe zu bleiben. Ich sehe also beide Seiten auf dem Platz in der Pflicht.
„Bei einem Jugendspiel in der Region ist ein junger Schiedsrichter so beleidigt worden, dass er anschließend weinend in der Kabine saß.“
Ralf Hübner