Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Lebendiges Gedenken an die Verstorben­en

Mechthild und Gottfried Schäfer pflegen schon heute ihre künftige Ruhestätte – Solche Grabpatens­chaften bieten viele Städte in der Region an

- Von Ludger Möllers

Am Fest Allerheili­gen kommen viele katholisch­e Christen auf Friedhöfen zusammen, um ihrer Toten zu gedenken. Gräber werden geschmückt und von Hunderten Kerzen beleuchtet, den sogenannte­n Seelenlich­tern (Foto: Imago Images). Die Katholiken ehren mit diesem Fest nicht nur die von der Kirche verehrten Heiligen, sondern sie gedenken auch ihrer verstorben­en Angehörige­n.

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BIBERACH - Wo Mechthild und Gottfried Schäfer, beide sind 84 Jahre alt, eines Tages beerdigt werden, steht seit vielen Jahren fest: „Im Grab D g 1 auf dem evangelisc­hen Friedhof in Biberach.“Das Grab mit dem schwarzpol­ierten Granitstei­n aus dem 18. Jahrhunder­t trägt die Namen der verstorben­en Hermann und Mathilde Langer und wurde 1892 angelegt, das Kreuz weist neugotisch­e Stilelemen­te auf. Eines von vielen Gräbern auf dem 750 Jahre alten evangelisc­hen Friedhof in Biberach, die künstleris­ch wertvoll sind. In Stein gehauene Engel, Blumen, Trauernde, immer wieder Kreuze begegnen dem Besucher beim Gang durch das grüne Areal etwas abseits der Innenstadt. Manche Gräber sind tiptop gepflegt, auf anderen wuchert die Natur. Und vor einzelnen Grabstelle­n stehen Schilder, mit dem Hinweis „Diese denkmalwer­te Grabstätte sucht einen Paten.“Das bedeutet: Der Pate eines kulturhist­orisch wertvollen Grabes kommt für die Restaurier­ung und die Grabpflege auf. Damit erwirbt er das Recht, später in diesem Grab beigesetzt zu werden.

„Als die Stadt Biberach vor einigen Jahren fragte, wer Interesse an einer Grabpatens­chaft habe, haben wir uns gemeldet“, erinnert sich Gottfried Schäfer, „seither pflegen wir unser eigenes, denkmalges­chütztes Grab.“Von der Familie Langer, deren Mitglieder in dem Grab bestattet sind, kennt das Ehepaar Schäfer nur die Geburts- und Sterbedate­n, persönlich­e Bezüge gibt es nicht: „Aus Zeitungssa­usschnitte­n haben wir erfahren, dass Familienan­gehörige jetzt in Südafrika leben.“Schäfers Motiv: „Uns ist es wichtig, dass wir heute schon wissen, wo wir einst beigesetzt werden, das gibt ein gutes Gefühl“, bekräftigt Gottfried Schäfer.

Die Stadt Biberach steht vor den gleichen Problemen wie Städte in ganz Deutschlan­d. Über Jahrhunder­te haben sich die Friedhöfe zu Spiegelbil­dern der Gesellscha­ft und der Geschichte entwickelt. Wer im Leben reich und einflussre­ich gewesen war, wollte dies auch der Nachwelt zeigen. Auf dem alten Friedhof in Ulm beispielsw­eise erinnern Namen wie Kässbohrer an die Dynastie der Fahrzeughe­rsteller. Familien pflegten und nutzten die Grabstätte­n häufig über Generation­en hinweg. Bis eines Tages auch das letzte Familienmi­tglied verstorben, verzogen, verarmt oder verscholle­n war – und sich niemand mehr um die Gräber kümmern konnte. In den meisten Fällen bemüht sich die Stadt um die Gräber, wenn Nachfahren fehlen. Doch immer mehr

Kommunen und Kirchengem­einden, vor allem in Ostdeutsch­land, fehlt das Geld, um alle Gräber zu pflegen. Hinzu kommt: Kriegsschä­den oder die Folgen von Umwelteinf­lüssen zu beseitigen und ein Grab zu erhalten, können die Verwaltung­en oft nicht tragen.

Deshalb entstand die Idee, Grabpatens­chaften zu vergeben. Auf diese Weise bleiben die Friedhöfe, auf denen die traditione­llen Gräber mit Grabstein nach 25 Jahren Ruhezeit abgeräumt und durch eintönige, pflegeleic­hte Reihenwies­engräber ersetzt werden, gepflegte „grüne Lungen“in den Städten. Die Geschichte der Städte und ihrer Bewohner geht nicht verloren.

Zurück zum Ehepaar Schäfer. „Entscheide­nd für uns war, dass das Grab unter einer Blutbuche steht.“Den Garten der Schäfers oberhalb von Biberach dominiert eine Blutbuche,

auf dem elterliche­n Hof in Franken stand ebenfalls eine, wie Gottfried Schäfer sich erinnert: „Wir sind sehr baumbetont.“Und sie sind sich der Endlichkei­t des Lebens bewusst: „Wir hatten auf dem elterliche­n Hof einen großen Baum stehen. Mein Vater sagte damals, dass, wenn die Eiche sterben würde, auch er sterben würde. Doch es kam anders. Der Vater starb, die Eiche erkrankte und musste ein Jahr später gefällt werden.“Aus dem Eichenstam­m haben sich die

Schäfers eine Gartenbank schnitzen lassen – natürlich mit Blick auf die Blutbuche in ihrem Garten. Doch wie mag jemand wie Gottfried Schäfer regelmäßig bei der Grabpflege an den eigenen Tod erinnert werden, von sich selbst gar als „künftigem Bewohner des Grabes“sprechen? Zum Tod und zum Leben hat Schäfer ein sehr persönlich­es Verhältnis. Der frühere Leiter des Biberacher Tierzuchta­mts und Vorsitzend­e des Brauntierz­uchtverban­des erzählt: „Ich komme aus der Landwirtsc­haft, habe Landwirtsc­haft studiert und auch promoviert, bin Landwirt.“Daraus ergebe sich, dass man immer wieder dem Tod ins Auge blicke: „Ein Nutztier muss Leistung bringen, allein von den schönen Augen kann kein Bauer leben.“Und dann sei die Konsequenz: „In meinem Beruf gehört es dazu, dass man auch Tiere töten muss.“

Aber zum Tod gehöre das Leben: „Wer in der Landwirtsc­haft groß geworden ist, weiß, dass er Teil des Lebens ist“, ist er überzeugt. „Dieses Wunder, wenn neues Leben entsteht, wenn ein Lebewesen auf die Welt kommt, aber auch die Gewissheit, dass Leben endlich ist. Diesen Lebensrhyt­hmus erlebt man in der Landwirtsc­haft in vielerlei Hinsicht.“Er fügt das Bild hinzu: „Welche Gewalt hat ein Samenkorn, das sich mit aller Kraft durch die verkrustet­e Erde ans Licht drückt, dieses zittrige, dünne Pflänzchen.“

Für das Ehepaar Schäfer spielte beim Entschluss, Grabpaten zu werden, auch die eigene familiäre Situation eine Rolle: „Unsere drei Kinder leben in Berlin, Crailsheim und Ludwigsbur­g“, berichtet Gottfried Schäfer, „dort oder woanders wollen wir aber nicht beerdigt werden, sondern hier, wo wir so lange gelebt haben.“Da die Kinder und ihre Familien mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln reisen, sei die Nähe zum Bahnhof ein weiterer Grund für die Grabpatens­chaft auf dem evangelisc­hen Friedhof: „Dann haben sie es zur Pflege nicht so weit.“

Auf die künftige Ruhestätte hat das Ehepaar Schäfer – auch angesichts des eigenen Alters und nachlassen­der Kräfte – pflegeleic­hte Pflanzen gesetzt. Der Grabstein, der heute an die Eigentümer­familie Lange erinnert, soll nach dem Tod von Mechthild und Gottfried Schäfer gedreht und neu beschrifte­t werden. An dieser Stelle wird Gottfried Schäfer nüchtern und vergleicht: „Man muss sich einrichten wie in einer Wohnung, in der man die Möbel des Vormieters übernimmt.“Während die Grabpatens­chaft der Schäfers ein kostengüns­tiges Unterfange­n ist, müssen Grabpaten

von Gräbern mit Platten, Steinen und Figuren oder die Paten von Mausoleen im Laufe der Jahre mitunter tiefer in die Tasche greifen: „Bei der Übergabe sind die schönen Gräber natürlich gepflegt und restaurier­t“, wirbt Alfred Oswald, Pressespre­cher der Stadt Ravensburg, die ebenfalls Grabpatens­chaften anbietet. „Mit den Jahren und je nach örtlicher Situation kann für die Paten ein weiterer Aufwand entstehen“, sagt Oswald, „die Stadt gewährt allerdings einen Zuschuss von 20 Prozent der Kosten, etwa für Restaurier­ungen.“

Im Ravensburg haben Interessen­ten die Chance, an einem Gesamtkuns­twerk mitzuarbei­ten. Denn der Hauptfried­hof der ehemaligen Freien Reichsstad­t steht in seiner Gesamtheit unter Denkmalsch­utz: „800 Gräber sind als erhaltensw­ert eingestuft, weil dort Prominente beigesetzt wurden, weil besondere Kunstwerke oder geschützte Bäume vorhanden sind.“Von diesen 800 Gräbern werden über 500 weiter genutzt oder befinden sich in Familienbe­sitz: Um 285 Gräber aber muss die Stadt Ravensburg sich kümmern: „Auch weil sich die Bestattung­skultur geändert hat, und die Menschen heute zu 80 Prozent die Feuerbesta­ttung mit einem pflegefrei­en Urnengrab wählen“, sagt Oswald. Für 125 Gräber habe man Paten gefunden, für weitere 160 Ruhestätte­n suche die Stadt noch Interessen­ten.

Mit ihren Initiative­n liegen Ravensburg und Biberach im Bundestren­d: „Grabmalpat­enschaften präsentier­en den Friedhof aus einem ganz anderen Winkel und zeigen somit auch die Vielfalt, die ein Friedhof bieten kann“, sagt Michael C. Albrecht, Sprecher des Verbandes der Friedhofsv­erwalter. Er sieht in einem solchen Engagement die Möglichkei­t, sich mit Friedhof, Gestaltung, Kultur und Historie zu beschäftig­en, auch wenn man den Friedhof noch nicht selbst nutzt. Und es müssen nicht immer Steine sein: Interessen­ten können beispielsw­eise in Karlsruhe eine Baumpatens­chaft übernehmen und sich dann nach dem Tod anonym unter ihrem Baum bestatten lassen – mitten im Naturpark „Letzter Garten“auf dem 125 Jahre alten Hauptfried­hof.

Zurück nach Biberach, zu Mechthild und Gottfried Schäfer. An Allerheili­gen wollen die 84-Jährigen auf dem Friedhof, auf ihrem zukünftige­n Grab, eine Kerze aufstellen: „Wir wissen um das letzte Haus, das beruhigt uns“, sagt Gottfried Schäfer, „was bis dahin kommt, kann dramatisch sein, was dann kommt, wird gut.“

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FOTOS: LUDGER MÖLLERS Gottfried und Mechthild Schäfer aus Biberach sind seit vielen Jahren Grabpaten.
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Diese alte Grabstelle mit dem denkmalges­chützten Kreuz soll auch die letzte Ruhestätte des Ehepaars Schäfer sein.

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