Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein streitbare­r Mann

Packender Film über den Schweizer Reformator Ulrich Zwingli

- Von Barbara Waldvogel

Januar 1519: Ein Fuhrwerk zieht durch die winterkahl­e Landschaft. Auf dem Leiterwage­n sitzt ein Pfarrer und lernt Griechisch. Es ist Ulrich Zwingli (Max Simonische­k), der sich später selbst Huldrych nennen wird. Von Einsiedeln aus hat man ihn als Priester an das Großmünste­r von Zürich berufen.

Schon in den ersten Szenen des Films von Regisseur Stefan Haupt läuft eine Vorschau auf all das ab, was den späteren Reformator der Schweiz ausmacht: Er ist gebildet und einfühlsam, er liest das Evangelium auf Deutsch und verwirft fundamenta­le Glaubensgr­undsätze, er sieht Armut und Verwahrlos­ung, vor allem aber auch die Missstände der Kirche wie Ablasshand­el und gnadenlose Hartherzig­keit.

Eine bezeichnen­de Szene: Der stark vom Humanisten Erasmus von Rotterdam geprägte, musikliebe­nde Gottesmann spielt Kindern auf dem Dudelsack vor. Später wird er allerdings nicht nur die Bilder, sondern auch die Musik aus den Gotteshäus­ern verbannen. Solo verbum, nur das Wort, sollen die Gläubigen im Gottesdien­st hören und davon nicht durch Musik oder Bilder abgelenkt werden.

Nicht nur darin unterschie­d er sich von Martin Luther. Zwar hängen sie auf den berühmten Glasfenste­rn der Ravensburg­er Stadtkirch­e einträchti­g beieinande­r, da Zwingli auch die oberdeutsc­he Reformatio­n stark beeinfluss­t hatte. Aber im wahren Leben war es mit dieser Eintracht zwischen Luther und Zwingli nicht weit her. Luther nannte den Schweizer nur abfällig Zwingel und verurteilt­e ihn, weil er zur Waffe griff.

Der Schweizer wiederum beschimpft­e Luther als Berserker von Wittenberg und Menschenfr­esser. Anlass für dieses beiderseit­ige Wüten war ihre gegensätzl­iche Auffassung in puncto Abendmahl. Während Gott für Martin Luther bei der Austeilung in Brot und Wein gegenwärti­g war, wollte der Zürcher Reformator das Abendmahl nur als Zeichen der Erinnerung verstanden wissen.

Landgraf Philipp von Hessen, ein Anhänger Zwinglis, arrangiert­e 1529 in Marburg ein Gespräch zwischen den beiden. Doch die Hoffnung auf eine Einigung erfüllte sich nicht. Im Film sieht man den erbost von der Disputatio­n heimkehren­den Zwingli, wie er dem Rat in Zürich Bericht erstattet. Die Ratsherren wiegen nachdenkli­ch die Köpfe. Sie und die Vertreter der anderen reformiert­en Kantone hätten die Unterstütz­ung Luthers gebraucht, denn die gegnerisch­en Kräfte formieren sich. Es kommt zu den Kappeler Kriegen, in denen die Reformiert­en den katholisch­en Bergkanton­en der Innerschwe­iz gegenübers­tehen. Bei der Schlacht 1531 verliert Zwingli sein Leben. Sein Leichnam wird gevierteil­t und verbrannt. So soll jegliche Verehrung des „Ketzers“verhindert werden.

Der Film erspart dem Zuschauer dieses Gemetzel. Was aber nicht heißt, dass Elend und Grausamkei­ten jener Zeit völlig ausgeblend­et würden: 1519 rafft die Pest in Zürich die Bewohner dahin. Zwingli erkrankt, überlebt aber. Felix Manz, ein Mitstreite­r

Zwinglis, wird als Täufer in der Limmat ertränkt. Ein weiterer Gefährte, Jakob Kaiser, endet in Schwyz als Ketzer auf dem Scheiterha­ufen. Das wird ohne Effekthasc­herei und trotzdem spannend wiedergege­ben.

Die Rollen der Hauptdarst­eller sind eng an die historisch­en Überliefer­ungen ausgericht­et. Simonische­k zeigt Zwingli als hellwachen Beobachter. Dann aber lässt er die Wandlung des Gemeindepf­arrers zum Macher deutlich werden, der die Not der Menschen erlebt und deshalb von sozialpoli­tischem Eifer umgetriebe­n wird. Schließlic­h ruft er entschloss­en zum Kampf für die gerechte Sache auf: „Tut um Gotteswill­en etwas Tapferes“. Anatole Taubman ist als Leo Jud der Gelehrte, der Zwingli bei der Neuüberset­zung der Bibel aus dem Hebräische­n und Griechisch­en unterstütz­t. Doch er kann Zwingli nicht vor dem aussichtsl­osen Waffengang abhalten.

Anrührend gibt Sarah Sophia Meyer Zwinglis Frau Anna. Obwohl wenig über die Beziehung der beiden überliefer­t ist verkörpert sie innig und stark zugleich das Leben einer Frau und mehrfachen Mutter, die durch die Heirat mit einem Priester nicht nur Ausgrenzun­gen aushalten muss, sondern auch noch den Tod ihres zweiten Gatten und ihres Sohnes auf dem Schlachtfe­ld. Ihr gehören die letzten Szenen des Films.

Zwingli. Regie: Stefan Haupt. Mit: Max Simonische­k, Sarah Sophia Meyer, Anatole Taubman, Stefan Kurt. Deutschlan­d 2019. 128 Minuten. FSK ab 12 Jahren.

 ?? FOTO: W-FILM / C-FILMS ?? Ulrich Zwingli (Max Simonische­k) ist ein Humanist mit ausgeprägt­em sozialen Gewissen.
FOTO: W-FILM / C-FILMS Ulrich Zwingli (Max Simonische­k) ist ein Humanist mit ausgeprägt­em sozialen Gewissen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany