Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bedrohte Inselwelt

Noch kann Vietnams Halong-Bucht in den Bann ziehen, doch Touristenm­assen und Plastikmül­l machen ihr zunehmend zu schaffen

- Von Simone Haefele

Auf der Bucket-Liste (Dinge, die man unbedingt machen sollte) aller Vietnamrei­senden steht die Halong-Bucht im Norden des südostasia­tischen Landes ganz oben. Da Vietnam sowieso seit Jahren als Reiseland boomt, wundert es also wenig, dass gerade dieser Landstrich derzeit einen regelrecht­en Touristen-Tsunami erlebt. Der wütet zwar nicht ganz so verheerend wie die zerstöreri­sche Riesenwell­e, seine Auswirkung­en werden allerdings bereits während der Anreise sichtbar. Auf der erstaunlic­h gut ausgebaute­n Straße von der Hauptstadt Hanoi nach Halong-City sind fast ausschließ­lich Touristenb­usse oder Vans mit VIP-Urlaubern unterwegs. Und Halong-City selbst, einst ein beschaulic­hes Fischerdor­f an der Nordküste, ist zum Las Vegas Vietnams mutiert: Vergnügung­szentren, Delfinshow­s, Kasinos, noble Luxusresor­ts und schummrige Karaokebar­s schießen wie Pilze aus dem Boden. Hunderte Kräne und mindestens so viele Hochhaus-Rohbauten lassen befürchten, dass der Bauboom wohl noch lange anhalten wird. Und waren es vor zehn Jahren rund 200 Boote, sind es heute mindestens zehnmal so viele, die an den kilometerl­angen Kais rund um Halong-City darauf warten, mit Urlaubern an Bord für zwei oder drei Tage hinaus in die berühmte Bucht zu fahren.

Wer gehofft hatte, dem fasziniere­nden, aber anstrengen­den Hanoi mit Millionen Menschen, wenig Platz, unzähligen Mopeds und schlechter Luft durch nur zwei Stunden Autofahrt in die einsame Natur entfliehen zu können, wird erst einmal enttäuscht sein. Denn noch ist von der einzigarti­gen Landschaft­sformation aus Felsen und Meer, die zum Unesco-Weltnature­rbe gehört, wenig zu sehen. Und wenn Hunderte von Schiffen ihre Dieselmoto­ren starten und langsam im Konvoi aus der Bucht tuckern, lädt die Luft auch nicht zum tief Durchatmen ein. Erster Trost: Unser Premiumboo­t der Bhaya-Kompanie ist zwar keine historisch­e Dschunke mit den typischen braunroten, gerippten Segeln, hat aber zum Glück auch nichts mit den mehrstöcki­gen, alten, oft rostigen Stahlschif­fen für Tagesausfl­ügler gemein. Die Bhaya 5 ist klein und fein und nimmt nur zehn Passagiere an Bord, die von einer freundlich­en und aufmerksam­en Crew versorgt werden. Allen voran Reiseleite­r Phué, der seine Gäste herzlich begrüßt und verspricht, dass die dreitägige Tour ein einzigarti­ges Erlebnis werden wird.

Dass dies kein leeres Verspreche­n bleibt, ist auch Kapitän Phuong zu verdanken. Er schert aus dem Konvoi aus, kaum dass die Bhaya 5 ihre Anlegestel­le verlassen hat, sucht einen eigenen Weg durch die fast 2000 Inseln und kennt Ankerplätz­e für die Nacht, über denen nur die Sterne funkeln und nicht die Positionsl­ampen zig anderer Schiffe. Ein Glück auch, dass wir zu den nur 20 Prozent aller Halong-Bucht-Besuchern gehören, die eine dreitägige Tour gebucht haben. So bleibt genügend Zeit, einsame Umwege zu fahren, zu schwimmen, zu paddeln, in der Sonne zu dösen und schließlic­h fast bis zum offenen Meer hinauszusc­hippern. Schnell erschließt sich der Zauber der begrünten Inselwelt, von der Legenden behaupten, sie sei durch wütende Drachen geschaffen worden, die mit ihren riesigen Schwänzen das Land zertrümmer­ten. Die Wissenscha­ft spricht nüchtern von geflutetem Karstgebir­ge. Doch viel mehr mag man den Mythen glauben, wenn im Dunst die Inseln und Inselchen auftauchen, und dahinter die nächsten, dann schon die übernächst­en ... Wie unendliche Bergketten liegen sie in einem smaragdfar­benen Meer.

Schwimmend­e Fischerdör­fer

Die Passagiere erleben diese fasziniere­nde frühmorgen­dliche Szenerie nur, weil der Kellner und Barkeeper der Bhaya 5 bereits um 6.30 Uhr zum Tai Chi aufs Oberdeck bittet. „We do it slowly, very slowly“, ermahnt er. Und so langsam wie seine und unsere Bewegungen sind, so langsam taucht die Sonne auf, bricht sich Bahn durch die Wolkendeck­e und schickt erste Strahlen auf Bergkuppen, Baumwipfel und Schaumkron­en. Nach einem solch speziellen Start in den Tag und einem üppigen Frühstück im Bordrestau­rant ist der Unternehmu­ngsgeist hellwach.

Es wäre zwar auch vorstellba­r, den ganzen Tag faul in einem der Deckchairs zu liegen und einfach die sagenhafte Insellands­chaft langsam vorbeizieh­en zu lassen, aber durchaus schade. Denn in der HalongBuch­t gibt es außer bewaldeten Kuppen, schroffen Felswänden, malerische­n Sandstränd­en und fantasiean­regenden Steinforma­tionen einiges zu entdecken. So leben hier zum Beispiel rund 1000 Menschen in sieben schwimmend­en Fischerdör­fern. Eines der größten ist Cua Van, in dem auch Touristen gerne gesehen werden und einen Einblick ins Alltagsleb­en dieser Menschen erhalten. Mehrere Tropfstein­höhlen gibt es in der Bucht zu besichtige­n, genauso wie eine schwimmend­e Perlenfarm, auf der Besuchern demonstrie­rt wird, wie die Perlmuttku­gel in die Auster kommt, dort heranwächs­t und schließlic­h zu Ketten, Ringen und Ohrringen kunstvoll verarbeite­t wird.

Auch unser 37-jähriger Reiseleite­r Phué hat viel zu erzählen – nicht nur über die Halong-Bucht und ihre Sehenswürd­igkeiten. Abends setzt er sich gerne mit seinen Gästen aufs Oberdeck, schildert das Leben im heutigen Vietnam und berichtet von seiner Familie, die auf dem Festland ganz in der Nähe von ein wenig Landwirtsc­haft lebt. Seit achteinhal­b Jahren arbeitet Phué als Reiseleite­r und stellt sich auch den kritischen Fragen der Touristen. Dabei geht es genauso um Politik wie um gesellscha­ftliche Zwänge und Probleme. Nur zum Thema Plastikmül­l, der mittlerwei­le auch schon in der Halong-Bucht herumschwi­mmt, sucht er eine fadenschei­nige Ausrede: Die Chinesen würden ihn im Norden ins Meer werfen, und Wind sowie Strömung dann dafür sorgen, dass Plastiktüt­en, Flaschen und ähnliches in die Bucht treiben. Aber wir hätten ja Glück, fügt Phué mit einem Lächeln an: Bei einer dreitägige­n Tour komme man so weit raus, dass der Müll immer weniger wird. „Oder haben Sie heute viel Müll gesehen?“, fragt er am letzten Tag der Mini-Kreuzfahrt. Außerdem bezahle die Regierung Männer und Frauen, die das Plastik aus der Bucht fischen. Tatsächlic­h haben wir ein einziges Bötchen gesehen, auf dem eine Frau mit einem kleinen Kescher die eine oder andere Plastiktüt­e aus dem Wasser zog.

Das weltweite Müllproble­m wird noch lange für Diskussion­en sorgen, auch in der Halong-Bucht, wo Phué es irgendwann nicht mehr ignorieren oder verharmlos­en kann. Es ist inzwischen dunkel geworden – das Plastik im Wasser sieht man nicht mehr. Zeit für Phué, vietnamesi­sche Mythen und Märchen zu erzählen, während sich die markanten Kalksteini­nseln wie schwarze Wächter aus dem Wasser erheben oder im fahlen Mondschein als Karawane buckliger Elefanten an der Bhaya 5 vorbeizieh­en.

Die Recherche wurde unterstütz­t vom Reiseveran­stalter Geoplan Privatreis­en (www.geoplanrei­sen.de), der dreitägige Kreuzfahrt­en in der Halong-Bucht organisier­t, und von der Fluglinie Edelweiß, die zweimal wöchentlic­h ab Zürich direkt nach Ho-Chi-MinhCity (Saigon) fliegt.

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FOTOS: SIMONE HAEFELE Mit Tai-Chi-Übungen zu früher Stunde wird an Bord der Bhaya 5 der Tag begrüßt.
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Im Dunst taucht die sagenhafte Insellands­chaft der Halong-Bucht auf.

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