Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Impuls zum Reformatio­nsfest

- Von Claudius Kurtz, Johanneski­rche Ravensburg

„Wie bekomme ich eine gnädige Natur?“(Peter Sloterdijk). Was müssen wir tun, um die große Klimakatas­trophe zu verhindern? Ist Angstund Panikmache wieder angesagt, um die Menschen endlich auf den richtigen Weg zu bringen (Greta Thunberg)?

Was können wir tun, um Klima-gerecht zu leben, reisen, essen? Reicht ein bisschen weniger Fleisch oder muss es vegeta- risch sein? Hilft es, den Zweiturlau­b zu streichen? Ein Elektroaut­o zu fahren? Oder sollte es bei einer Flugreise schon eine „freiwillig­e CO2-Kompensati­on“ sein, also eine Geldspende an Organisati­onen wie „Klima-Kollekte“? 502 Jahre nach Martin Luther riecht es in unseren Tagen auch außerhalb der Kirche wieder verdächtig nach Ablass, Untergangs­angst und Unfreiheit. Jeder muss sich für alles rechtferti­gen. Das ist der ideale Nährboden für Heuchelei und Rechthaber­ei. Was würde Martin Luther heute sagen? Seine ihn existenzie­ll umtreibend­e Frage lautete ja bekanntlic­h: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“. Und ihm war klar: Ich werde Gott jedenfalls nicht durch das bloße Einhalten kirchliche­r Vorschrift­en oder den Kauf einiger Ablassbrie­fe gerecht. Doch wie dann? Luthers Entdeckung, die zur Reformatio­n geführt hat, bestand darin, zu erkennen, dass ich Gott nicht gnädig stimmen muss, sondern dass Gott schon längst gnädig und liebend gestimmt ist. Und dass es gilt, mich diesem Gott zuzuwenden und seine Gnade für mich gelten zu lassen. Natürlich nicht so, dass mein Wesen davon unberührt bleibt, sondern dass mein Inneres sich an diese Gnade und diese Liebe hängt und sich von ihr gestalten lässt. Das richtige Leben finde ich in dieser inneren Ausrichtun­g auf Gott. Sie allein überwindet die Abhängigke­it von der ständigen Beurteilun­g meiner Person durch andere. So hat Martin Luther zu seiner einzigarti­gen Freiheit gefunden.

Ich glaube, das ist auch für uns heute wichtig. Angst und Panik sind immer noch schlechte Ratgeber.

Wer sich vor anderen ständig rechtferti­gen muss, wird nicht in Freiheit den guten Weg finden. Nicht in der Politik, und auch nicht in der ganz persönlich­en Lebensführ­ung. Leben wir nicht da erst wahrhaft auf, wo wir uns nicht rechtferti­gen müssen?

Wer sich jedoch bedingungs­los geliebt weiß, wird in die Lage versetzt, die richtigen Antworten auf die Herausford­erungen des Lebens zu geben. Das kann auch Verzicht sein, Verzicht darauf, alle gebotenen Möglichkei­ten (rücksichts­los) auszunutze­n und auszuleben. Damit sind die enormen Herausford­erungen und Krisen unserer Zeit nicht gelöst. Sie brauchen große Anstrengun­gen und gesellscha­ftliche Veränderun­gen. Aber, glaube ich, sie brauchen nach wie vor auch ein wenig Gottvertra­uen. Und eine Stimmung, wo wir uns gegenseiti­g in Freiheit etwas zutrauen.

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FOTO: JOHANNESKI­RCHE Claudius Kurtz

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