Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Impuls zum Reformationsfest
„Wie bekomme ich eine gnädige Natur?“(Peter Sloterdijk). Was müssen wir tun, um die große Klimakatastrophe zu verhindern? Ist Angstund Panikmache wieder angesagt, um die Menschen endlich auf den richtigen Weg zu bringen (Greta Thunberg)?
Was können wir tun, um Klima-gerecht zu leben, reisen, essen? Reicht ein bisschen weniger Fleisch oder muss es vegeta- risch sein? Hilft es, den Zweiturlaub zu streichen? Ein Elektroauto zu fahren? Oder sollte es bei einer Flugreise schon eine „freiwillige CO2-Kompensation“ sein, also eine Geldspende an Organisationen wie „Klima-Kollekte“? 502 Jahre nach Martin Luther riecht es in unseren Tagen auch außerhalb der Kirche wieder verdächtig nach Ablass, Untergangsangst und Unfreiheit. Jeder muss sich für alles rechtfertigen. Das ist der ideale Nährboden für Heuchelei und Rechthaberei. Was würde Martin Luther heute sagen? Seine ihn existenziell umtreibende Frage lautete ja bekanntlich: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“. Und ihm war klar: Ich werde Gott jedenfalls nicht durch das bloße Einhalten kirchlicher Vorschriften oder den Kauf einiger Ablassbriefe gerecht. Doch wie dann? Luthers Entdeckung, die zur Reformation geführt hat, bestand darin, zu erkennen, dass ich Gott nicht gnädig stimmen muss, sondern dass Gott schon längst gnädig und liebend gestimmt ist. Und dass es gilt, mich diesem Gott zuzuwenden und seine Gnade für mich gelten zu lassen. Natürlich nicht so, dass mein Wesen davon unberührt bleibt, sondern dass mein Inneres sich an diese Gnade und diese Liebe hängt und sich von ihr gestalten lässt. Das richtige Leben finde ich in dieser inneren Ausrichtung auf Gott. Sie allein überwindet die Abhängigkeit von der ständigen Beurteilung meiner Person durch andere. So hat Martin Luther zu seiner einzigartigen Freiheit gefunden.
Ich glaube, das ist auch für uns heute wichtig. Angst und Panik sind immer noch schlechte Ratgeber.
Wer sich vor anderen ständig rechtfertigen muss, wird nicht in Freiheit den guten Weg finden. Nicht in der Politik, und auch nicht in der ganz persönlichen Lebensführung. Leben wir nicht da erst wahrhaft auf, wo wir uns nicht rechtfertigen müssen?
Wer sich jedoch bedingungslos geliebt weiß, wird in die Lage versetzt, die richtigen Antworten auf die Herausforderungen des Lebens zu geben. Das kann auch Verzicht sein, Verzicht darauf, alle gebotenen Möglichkeiten (rücksichtslos) auszunutzen und auszuleben. Damit sind die enormen Herausforderungen und Krisen unserer Zeit nicht gelöst. Sie brauchen große Anstrengungen und gesellschaftliche Veränderungen. Aber, glaube ich, sie brauchen nach wie vor auch ein wenig Gottvertrauen. Und eine Stimmung, wo wir uns gegenseitig in Freiheit etwas zutrauen.