Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ex-Minister
Jähes Ende einer steilen Karriere: Am Donnerstag ist der britische Schatzkanzler Sajid Javid zurückgetreten – überraschender Höhepunkt einer Regierungsumbildung, mit der Premierminister Boris Johnson von seinem Kabinett totalen Gehorsam erzwang. Javid verweigerte sich der Aufforderung, sein engstes Beraterteam zu feuern und sich künftig Johnsons Chefberater Dominic Cummings unterzuordnen.
Im wichtigsten Ministerium – es kombiniert das klassische Finanzressort mit weiten Teilen der Wirtschaftspolitik – galt Javid (50) eigentlich als sicher. Der Sohn armer pakistanischer Einwanderer verkörperte die multikulturelle, sozial durchlässige Leistungsgesellschaft auf der Insel. Ein Studium der Ökonomie und Politik ermöglichte ihm eine wohldotierte Karriere in der City of London, zuletzt bei der Deutschen Bank mit Zuständigkeit für die hochspekulativen Finanzderivate CDOs.
Dem globalen Finanzcrash entkam der Investmentbanker unbeschadet, indem er für die Torys 2010 einen sicheren Wahlkreis bei Birmingham eroberte. Seither schien sein Aufstieg unaufhaltsam, mit Stationen in den Ressorts für Kultur, Wirtschaft,
Regionales und Inneres. Im Kampf um die Nachfolge der glücklosen Premierministerin Theresa May erzielte Javid ein achtbares Ergebnis, die Beförderung ins Schatzkanzleramt im vergangenen Juli stellte seine Belohnung dar.
In den sieben Monaten seither geriet Javid aber zunehmend ins Visier von Johnsons Chefberater Cummings. Der feuerte schon Ende August eine von Javids Beraterinnen und ließ sie von bewaffneter Polizei aus der Downing Street eskortieren. Bei der Abfassung des Wahlprogramms beharrte Minister Javid auf weiterem Schuldenabbau, was Johnsons gewaltige Investitionspläne infrage stellte. Einstweilen regiert der Premier unangefochten. Wenn sich in Zukunft bei den Torys Widerstand regt, dürfte Javid nicht weit sein. Sebastian Borger