Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Inzest: Vater muss neun Jahre ins Gefängnis
Landgericht Ravensburg hat einen Mann verurteilt, der seine Töchter missbraucht hat
Für das Verhalten der Töchter, die sich Milde gegenüber dem Vater gewünscht hatten, zeigt der Richter Verständnis. Doch gehe es hier um die Vergewaltigung eines Kindes, zudem eines Schutzbefohlenen, dazu komme Inzest. Auch die Opferfolgen seien massiv: Magersucht, selbstverletzendes Verhalten, Selbstunsicherheit, Suizidgedanken, schlechte Schulleistungen.
Dass diese Folgen jetzt wieder heruntergespielt würden durch „den Druck der Mutter und das Selbstmitleid des Vaters“, sei ihm klar. Aus menschlicher Hinsicht könne er das Verhalten der Töchter nachvollziehen. Ebenso verstehe er, dass den Töchtern spätestens mit der Inhaftierung des Vaters die Konsequenzen klar geworden seien – eben auch, weil familiäre Verbindungen wirken. Bernhard: „Natürlich hat man als Tochter zum Vater eine enge Beziehung und man liebt ihn, auch wenn er etwas Schlimmes getan hat. Aber nur, weil man die Aussage
bereut, heißt das nicht, dass man etwas Falsches gesagt hat.“
Vor diesem Hintergrund wertete er auch das widersprüchliche Aussageverhalten der Töchter, die im Nachgang am liebsten alles zurückgenommen hätten. Aber es deute nichts darauf hin, dass etwas Unwahres gesagt wurde. Vor allem, weil es Zeugen innerhalb der Familie gebe, die die Geschehnisse bestätigen können. Überdies gebe es ein Teilgeständnis und eine Audioaufnahme, in der der Vater den Missbrauch zugibt.
Den von der Verteidigung vorgebrachten Alkoholkonsum des Angeklagten ließ das Gericht nicht gelten. Die Ehefrau habe seinen Konsum kontrolliert und es sei zudem wenig Geld da gewesen für Alkohol. Der Angeklagte sei eben nicht täglich berauscht gewesen. Bernhard: „Diese Taten waren geordnet, zielstrebig und durchdacht.“Der Angeklagte habe die Abreise seiner Frau abgewartet, das Schlafzimmer abgeschlossen, das Fenster zugemacht und er habe gewartet, bis die anderen Geschwister schlafen.
Eine sexuelle Fixierung auf Kinder könne das Gericht jedoch ausschließen. Die Sexualneigungen des Angeklagten seien normal und auf seine Frau ausgerichtet. Vielmehr gehe es hier um Bedürfnis- und Ersatzbefriedigung am Kind – wenn die Ehefrau nicht zur Verfügung steht. Dazu komme noch das Macht- und Dominanzstreben eines Mannes, der in seinem Heimatland angesehen ist, aber hier keinen Fuß auf den Boden bekommt. Bernhard: „Auf den Punkt gebracht: Der Mann ist hier in Deutschland der Verlierer. Dass er dieses Defizit durch Inzest versucht auszugleichen, ist psychologisch erklärbar, aber in keinster Weise zu entschuldigen.“
Dieser Prozess ist zu Ende – vorerst, denn die Verteidigung hat Revision angekündigt. Der Verurteilte wird abgeführt, Richterschaft, Staatsanwalt und der Anwalt der Nebenklage verlassen den Saal. Ebenso alle Zuhörer und die Töchter. Auch Verteidiger Uwe Rung kommt aus dem Saal. Er ist nachdenklich: „Wenn jemand etwas macht, muss er dafür auch bestraft werden. Aber man muss sich immer überlegen, was der Sinn und Zweck ist. Und wenn der Zweck der Opferschutz ist, dann sieht man, was man beim Opfer bewirkt.“
Sein Blick geht zur jüngsten Tochter seines Mandanten, zu einer mittlerweile jungen Frau. Zu dem Menschen, der einst als Kind am stärksten dem Missbrauch des eigenen Vaters ausgeliefert war. Diese junge Frau sitzt nun schluchzend auf dem Boden vor dem Sitzungsaal. Immer wieder sagt sie fassungslos „Neun Jahre ... wieso so viel?“Rungs Blick ist voller Mitgefühl: „Viel zu oft geht es um Schuld und Strafe – aber die Opfer haben nichts davon.“