Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Kennen Sie den ,heißen Feger vom Affenberg’?“
Landes-Storchenbeauftragte Ute Reinhardt über das Liebes- und sonstige Leben der geschützten Vögel
REGION - Manche Störche haben in diesem Winter die Region gar nicht verlassen. Über das Liebesleben der Störche, ihre Eigenarten und besonderen Fähigkeiten hat sich unsere Mitarbeiterin Carolin Steppat mit Ute Reinhard, der Storchenbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, unterhalten. Im Interview erzählt Reinhard von einigen Kuriositäten, die sie beobachtet hat. Unter anderem geht es um schwule Störche und den „heißen Feger vom Affenberg“, der die Entscheidung zwischen zwei Störchen wohl etwas schwerfiel.
Frau Reinhard, dem Storch eilt ja der Ruf voraus, sehr treu zu sein. Stimmt das?
(lacht) Das stimmt überhaupt nicht, wie es oft der Fall ist bei Gerüchten. Es gibt zwar durchaus Störche, die lange zusammen sind, aber es gibt auch viele Partnerwechsel. Störche sind enger an ihr Nest als an ihren Partner gebunden. Nehmen wir einmal an, das Männchen ist im Frühjahr schon zurückgekehrt und wartet im Horst auf sein Weibchen, wird dann aber von einem anderen Männchen verjagt und muss sich ein neues Brutnest suchen. Die Störchin geht dann in aller Regel nicht zu ihrem alten Partner auf sein neues Nest, sondern zum neuen Männchen, das sich in ihrem Horst niedergelassen hat.
Wechseln Störchinnen nie ihren Horst?
Doch, durchaus. Störchinnen wechseln sogar erfahrungsgemäß häufiger den Horst als die Storchenmännchen. Wenn der Nachwuchs nicht durchkommt, dann wird oft der Brutplatz gewechselt und damit meistens auch der Partner. Auch sind Seitensprünge bei Adebars durchaus an der Tagesordnung. Ist der Gatte oder die Gattin noch nicht da, vergnügt man sich gelegentlich einstweilen mal mit einem anderen Partner, einem sporadischen Nestbesucher oder einem Storch, der sich ernsthaft für den Horst interessiert. Man macht auch mal einen Ausflug zu einem anderen Nest, wo der Horstinhaber ebenfalls noch alleine ist. Kommt dann der richtige Partner und beansprucht seinen Platz, wird jedoch meist rasch die alte „Ordnung“, sprich, die Ehe, wiederhergestellt.
Das hört sich nicht sehr romantisch an.
Na ja, wie das Leben so spielt... In Riedlingen lebte lange unser ältestes Storchenpaar. Er war 30 Jahre alt, sie 35 Jahre und die beiden waren 21 Jahre zusammen. Die letzten Jahre hatten sie dann keinen so guten Bruterfolg mehr, weil die Paarung nicht mehr klappte. Und was passiert? Er verlässt sie und zieht in den Nachbarort zu einer 24 Jahre jüngeren Badenerin, mit der er dann über viele Jahre wieder Junge gezeugt hat.
Was passierte mit der alten Störchin?
Sie blieb zuerst allein in ihrem Horst. Doch dann bekam sie Besuch von einem zwei Jahre alten Storch, gebürtig in Oggelshausen am Federsee. Aber leider hatten die beiden kein Glück. Sie und ihr junger Partner wurden aus ihrem Horst auf dem Riedlinger Rathaus von einem anderen Paar verjagt. Der Störchin ging es dann nicht mehr so gut, die plötzlich völlig veränderte Situation hatte sie offensichtlich ziemlich mitgenommen und demoralisiert. Sie lief in der Stadt umher, musste eingefangen und in Pflege genommen werden.
Hat man sie dann wieder in die Freiheit entlassen?
Ja. Allerdings war das Erste, was sie nach ihrer Freilassung gemacht hat, das Paar in ihrem alten Horst anzugreifen. Die betagte Störchin hatte aber natürlich alleine gegen zwei Störche, die außerdem noch jung und daher in wesentlich besserer körperlicher Verfassung waren als sie, keine Chance. Sie wurde dann zunächst nach Salem gebracht auf den Affenberg, wo sie sich erstmal erholen konnte. Ihr Gnadenbrot bekam sie dann in Ludwigsburg im Blühenden Barock in der Großvoliere, wo sie mit 40 Jahren gestorben ist.
Störche sind sehr emotional, oder?
Also nach meinen Beobachtungen habe Störche Gefühle wie wir. Aber Störche haben dem Menschen eines voraus: Sie sind nicht nachtragend. Da gibt es wegen eines Seitensprungs keinen Ehekrach. Man geht einfach drüber hinweg und tut so, als ob nichts gewesen wäre. Da fällt mir grade noch eine andere Geschichte ein. Kennen Sie den „heißen Feger vom Affenberg“?
Nein, erzählen Sie mehr.
In Aulendorf gab es eine bei uns überwinternde Störchin namens Antonia. Diese hatte im Frühjahr den dortigen Horst verlassen und ist nach Bad Waldsee gezogen. Der Horst in Bad Waldsee gehörte aber eigentlich einer Störchin namens Laura, welche noch nicht aus dem Winterquartier zurück war. Die vom Zug erschöpfte Laura verlor dann den Kampf gegen Antonia und zog daraufhin auf den Aulendorfer Horst zu dem dortigen Partner. Aber ihr hat es dann in Aulendorf nicht so gepasst und so zog sie weiter nach Mochenwangen und verpaarte sich mit dem dortigen Männchen. Zwei Wochen lang pendelte sie zwischen ihren Partnern in Aulendorf und Mochenwangen hin und her, ehe sie sich dann für Mochenwangen entschieden hat. Man nannte sie deshalb den „heißen Feger vom Affenberg“. Da kann es auch sein, dass der Storchenvater Kuckuckseier bebrütet hat.
Es gibt ja Fälle von homosexuellen Schwänen. Gibt es denn auch Störche, die gleichgeschlechtlich lieben?
Ja, die gibt es. Allerdings sind wohl die meisten derjenigen Männchen, die längere Zeit mit einem anderen Männchen während der Brutzeit als Paar zusammenleben, eher bisexuell. Oft haben sie schon einmal mit einem Weibchen zusammen gebrütet oder tun dies irgendwann später. In Oberschwaben gab es übrigens ein Paar namens „Siggi und Roy“, die waren sehr lange zusammen und sind auch immer zusammen umgezogen. Die verpaarten Männchen gehen meist sehr liebevoll miteinander um und man bekommt den Eindruck, dass sie sich auch gerne um ein Gelege und um Junge kümmern würden. Sie richten das Nest sehr liebevoll her. Auch Siggi und Roy hätten wohl gern Storchenkinder gehabt und haben deshalb andere Paare mit Jungen angegriffen.
Wieso denn das?
Es gibt bei den Störchen durchaus Elternneid. Ich habe den beiden einmal ein erkaltetes Gelege reingelegt, das sie bebrüten konnten. Doch nach fünf Wochen wurden sie auf ihrem Horst angegriffen und haben die Brut aufgegeben. Sie sind dann sofort auf Rauftour gegangen und haben andere Nester mit Jungvögeln angegriffen. Von Weibchenpaaren ist mir in meinem Betreuungsbereich nichts bekannt. Ich weiß aber, dass es auch solche schon gegeben hat.
Sind Störche dem Menschen so ähnlich?
Störche zeigen zweifellos Verhaltensweisen, die unseren ähneln. Das gibt es vermutlich bei vielen Tieren, die unterscheiden sich gar nicht so sehr von uns Menschen. Störche sind allerdings gut zu beobachten, weil sie mitten unter uns leben. Bei anderen Tieren passiert wahrscheinlich ähnliches, nur sehen wir das nicht.
Gibt es auch Freundschaften unter Störchen?
Ja, die gibt es. Ein Storchenpaar, welches zwei Jahre lang in Mengen gebrütet hatte, trennte sich aus welchem Grund auch immer. Er brütete fortan in Mengen, sie im benachbarten Scheer. Beides waren überwinternde Störche. Den Winter, wenn ihre Brutpartner in den Süden gezogen waren, verbrachten sie stets gemeinsam, unternahmen auch Ausflüge an den Bodensee stets zusammen. Im Frühjahr flogen sie dann aber auf ihre Horste und brüteten mit ihren dortigen Partnern.
Stimmt der Eindruck, dass es immer mehr Störche bei uns gibt?
Es gibt insgesamt mehr Störche in Baden-Württemberg. Die westziehende Population hat stark zugenommen. Die Ursache liegt allerdings weniger in einem guten Bruterfolg, der ist nämlich infolge mangelnder Nahrungsgebiete - man denke da nur an die immer größer werdenden Maisfelder - nicht so besonders gut. Vielmehr hat die Zunahme der Störche etwas damit zu tun, dass die Überlebensrate der erwachsenen Vögel deutlich angestiegen ist. Es kommen nicht mehr so viele Störche auf dem Zug in den Süden um wie früher. Die meisten Störche ziehen nur noch bis Spanien, nicht mehr bis Afrika. Einige bleiben auch den Winter über ganz hier.
Wieso Spanien?
Dort gibt es viele Müllkippen in der Nähe der Großstädte, wo sie sich aufhalten. Auch gehen sie gerne auf die Reisfelder, wo sie sich von Krebsen
ernähren. Mithilfe der Satelliten-Telemetrie kann man ganz genau die Standorte herausfinden. Die Nacht verbringen sie beispielsweise ganz idyllisch auf einem Baum am Fluss und tagsüber geht´s ins Restaurant auf die Müllkippe, wo sie immer fündig werden.
Was fressen diese Störche dort?
Sie fressen alle möglichen Nahrungsreste und Küchenabfälle. Aber manchmal ist dann auch was Giftiges dabei, woran sie sterben können. Auch bei uns fressen sie manchmal etwas, was aussieht wie Nahrung, rote Haushaltsgummis werden zum Beispiel mit Regenwürmern vewechselt. Oder sie versuchen eine Schnur herunterzuwürgen. Eine meiner Kolleginnen hat mal den Magen eines verendeten Storches aufgeschnitten, er war voller Dichtungsringe.
Fressen Störche alles?
Nein, Störche sind keine Allesfresser. Sie fressen tierische Nahrung und sind keine Pflanzenfresser. Aber da fressen sie so ziemlich alles, was sie fangen können und von der Größe her runter bekommen. Die Jungstörche bekommen Spinnen, Regenwürmer, Käfer, Heuschrecken, Kaulquappen. Später gibt es dann Mäuse, Maulwürfe und - falls es gibt - auch Frösche oder Schlangen. Es wird auch Aas genommen.
Was ist das Kurioseste, das Sie an Störchen feststellen konnten?
Es entsteht manchmal der Eindruck, dass Störche telepathische Fähigkeit besitzen. In Isny hat vor Jahren ein Storchenpaar gelebt: Romeo und Julia. Romeo war Franzose, Julia ist Schweizerin. Romeo, ein vor allem im Winter recht fauler Storch, hat in Isny überwintert, wo er von einem Bürger gefüttert wurde. Julia ist anfangs jedoch ins Winterquartier gezogen. Eines Tages im Frühjahr war er plötzlich sehr aufgeregt. Er hat sich an diesem Tag völlig anders verhalten als sonst und ist auch nicht zur Fütterung erschienen. Und am Abend kam dann seine Julia. Er hat das irgendwie gewusst. Als Romeo später gestorben war, wurde Julia manchmal beobachtet, wie sie genau an der Stelle auf der Wiese stand, wo er verendet ist. Lässt man einen Storch, den man verarzten und in Pflege nehmen musste, wieder frei, so kommt es häufig vor, dass die Eltern oder der Partner dieses Storchs ihn am Freilassungsort bereits erwarten. Es gibt also eine Art von Kommunikation, bei der man noch nicht weiß, wie sie funktioniert. Ich bezeichne das als 7. Sinn. Die Störche wissen mehr als wir.