Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kliniken fehlt der Platz für Vorräte
Wie Krankenhäuser auf die Corona-Krise vorbereitet waren – Engpässe absehbar
STUTTGART - Wie gut waren die Krankenhäuser auf eine Krise wie die Corona-Pandemie vorbereitet? Wer wäre dafür verantwortlich? Schon jetzt zeigt sich deutlich, wo Defizite bestehen.
Welche Vorgaben an die Krankenhäuser regeln, wie sich diese vorbereiten müssen?
Dazu existieren verschiedene Gesetze in Bund und Ländern. Zuständig für die Details sind letztere. Sie erlegen den Krankenhäusern auf, eine Alarmplanung für verschiedene Szenarien zu machen. Der Fokus liegt dabei meistens auf einem „Massenanfall von Verletzten“. Das passiert zum Beispiel bei einem Terroranschlag oder großen Zugunglück. Doch auch für andere Fälle wie eben Pandemien sollen die Kliniken voraus planen, soweit möglich. Die entsprechenden Vorgaben lassen sehr viel Raum für Interpretation. So sind etwa „regelmäßige“Übungen vorgeschrieben, aber ob, wann und wie diese durchgeführt werden, kontrolliert niemand.
Worauf kommt es in einem Pandemie-Fall an?
Dazu gibt es lediglich Empfehlungen. In Baden-Württemberg verweist das Gesundheitsministerium von Manfred Lucha (Grüne) unter anderem auf ein Handbuch der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), die die Kliniken im Land vertritt. Es ist von 2005. Vergangene Woche hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) Hinweise veröffentlicht. Das Ziel: Es gilt zu vermeiden, dass die Versorgung von Patienten zusammenbricht oder wie in Norditalien nicht mehr jeder Kranke die maximal mögliche Behandlung bekommen kann, etwa weil Beatmungsgeräte fehlen. Kritische Punkte sind daher besonders ausreichend Schutzmaterial, Medikamente und medizinische Geräte, ausreichend geschultes Personal. Außerdem sollten Kliniken genau planen, wie sie Infizierte von NichtInfizierten trennen. Die meisten Pläne gehen davon aus, dass es gegen eine Infektionskrankheit einen Impfstoff gibt und sie relativ gut erforscht ist. Im aktuellen Corona-Szenario ist jedoch beides nicht der Fall.
Wo liegen Probleme beim Material?
Einer der Autoren der BBK-Empfehlungen ist der Notfallmediziner Professor
Thomas Wurmb. Er warnte bereits 2017: „Für die Bewältigung sind die Bevorratung von Material und ein Konzept zur Entsorgung essenziell.“Tatsächlich zeigt sich jetzt, dass hier erhebliche Engpässe entstanden sind. Sowohl die Schutzausrüstung als auch medizinische Geräte sind in Deutschland sehr knapp, die Lage entspannt sich nur langsam. „Ein völliges Fehlen von Schutzausrüstung ist ein Ereignis, das unter allen Umständen vermieden werden muss. Da Krankenhäuser in der Regel mit einer Lagerhaltung für einen Bedarf unter 14 Tagen arbeiten, ist dies bei einem Ausbleiben von Lieferungen nach spätestens dieser Zeitspanne erreicht“, so das BBK. Das gelte auch für Zubehör für die steigende Zahl von Intensivbetten.
Was lässt sich dagegen tun?
Um Schutzausrüstung und anderes medizinisches Material zu lagern, fehlt vielen Kliniken schlicht der Platz. In der Regel halten sie Material für wenige Wochen vor. „Eine Reservehaltung, wie sie für die aktuelle Lage erforderlich wäre, ist schon aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen der Krankenhäuser nicht vorgesehen“, sagt dagegen BWKGChef Matthias Einwag. Es gebe weder von den Krankenkassen noch von Bund oder Ländern Geld für den Kauf auf Vorrat. Doktor Martin Eble vom Medizincampus Bodensee in Friedrichshafen fordert: „Nach der Krise wird man sich Gedanken machen müssen, wie sinnvoll es ist, kritische Verbrauchsartikel nur durch Importe beziehen zu können. Gleiches gilt für die Produktion von Medikamenten.“So sieht das auch Winfried Leiprecht, Sprecher der Oberschwabenkliniken: „Grundsätzlich muss eine Mindestvorhaltung an Material, Personal und technischen Einrichtungen für Katastrophenfälle definiert, vorgehalten und vor allem auch finanziert werden.“
Und das Personal?
„Schon zu normalen Zeiten ist die Verfügbarkeit von Pflegepersonal auf Intensivstationen äußerst begrenzt. Die kurzfristige Mobilisation von qualifizierten Kräften, die für eine Verdopplung der Intensivkapazität erforderlich wären, erscheint nahezu aussichtslos“, warnen die Katastrophenschutz-Experten des BBK. Beatmungs- und ähnliche Geräte sind nicht leicht zu bedienen. Für den Pandemie-Fall empfiehlt das BBK Maßnahmen, die Land und Kliniken jetzt ergriffen haben: Reaktivierung von Rentnern oder Fachkräften, rasche Schulung von anderem Pflegepersonal und Einsatz von Medizinstudierenden. Es wird weiter darum gehen, wie man ausreichend Fachkräfte in Kliniken und Pflegeeinrichtungen findet, wie bessere Löhne und Arbeitszeiten finanziert werden können. „Wir brauchen eben auch mehr Personal, nicht nur mehr Technik. Nicht umsonst werden Intensivkrankenschwestern fünf Jahre ausgebildet“, sagt FDP-Gesundheitspolitiker Jochen Haußmann.
Was muss sich ansonsten noch ändern?
Kenner der Katastrophenplanung in den Kliniken monieren, dass die gesetzlichen Vorgaben zu schwammig seien. Regelmäßige Übungen müssten Pflicht werden, Kontrollen seien notwendig. Es sei auch nicht hilfreich, dass für den Katastrophenschutz das Innen- und für die Krankenhäuser das Gesundheitsministerium zuständig sei. Allerdings loben Verantwortliche regionaler Häuser etwa aus Friedrichshafen die vom Land abgehaltene Übung BWTex im Herbst 2019. Dabei wurde ein Terroranschlag mit vielen Opfern simuliert. Daraus habe man einiges für die jetzige Lage gelernt, heißt es etwa aus Friedrichshafen. Notfallmediziner Wurmb nennt andere Bundesländer als Vorbild: „Es bedarf einer detaillierten Planung und Vorbereitung, die tatsächliche Ausführung muss zusätzlich zum Routinebetrieb erfolgen und ist mit entsprechenden Kosten verbunden. In Hessen zum Beispiel werden die Übungen seitens des Gesundheitsministeriums organisiert, teilweise finanziert und oft ohne Ankündigung durchgeführt.“SPD-Gesundheitsexperte Rainer Hinderer bemängelt fehlende Krisenpläne der Landesregierung: „Ich habe die Landesregierung Anfang Februar schriftlich nach dem Seuchenalarmplan gefragt, ohne eine Antwort zu erhalten. Es gab damals schlicht keine geltende allgemeine Fassung für Seuchen und Pandemien.“