Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Corona treibt Unternehmen in Insolvenz
Ravensburger Amtsgericht geht von einer Welle ab Herbst 2020 aus
RAVENSBURG - Die Corona-Krise hat schon in wenigen Wochen viele Unternehmen ins Straucheln gebracht: Einzelhändler, Gastronomen, Hoteliers, die ihre Geschäfte schließen mussten, Industriezweige, bei denen die Auftragslage einbrach. Das Amtsgericht Ravensburg und weitere Experten sind überzeugt, dass die Krise auch etliche Unternehmen in die Insolvenz treiben und sogar heftigere Auswirkungen haben wird als die Finanzkrise 2008/09.
Beim Amtsgericht Ravensburg, das für Insolvenzverfahren zuständig ist, rechnet man mit einer Insolvenzwelle ab Herbst 2020 und dem Höhepunkt im nächsten Jahr. „Wir gehen davon aus, das viel aus der Gastronomie und dem Hotelgewerbe kommt, aus dem Messebereich und der schon länger kriselnden Autozulieferindustrie“, teilt das Gericht mit. Die Verzögerung habe damit zu tun, dass Firmen vorerst ihre finanziellen Nöte durch staatliche Gelder und den erleichterten Zugang zu Kurzarbeit ausgleichen können.
Kleinere Firmen, die meist weniger Reserven hätten, werden nach Erwartung des Gerichts als erste Insolvenz anmelden, etwas später dann größere Unternehmen, wenn auch dort der finanzielle „Speck“aufgebraucht ist. Und wenn Arbeitskräfte durch Firmeninsolvenzen ihre Jobs verlieren, rechnet das Amtsgericht in der Folge auch mit mehr Privatinsolvenzen. Damit wird sich ein positiver Trend wieder umkehren: 2018 und 2019 war die Zahl der Firmen- und Privatinsolvenzen im Bereich des Amtsgerichts Ravensburg nach dessen Angaben leicht gesunken.
Auch die Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben macht sich insbesondere Sorgen um viele Klein- und Kleinstunternehmen mit knapper Kapitaldecke. „Je länger die Pandemie dauert, umso größer wird das Insolvenzrisiko“, sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK Bodensee-Oberschwaben, Peter Jany. Er rechnet damit, dass die Auswirkungen noch drastischer sein könnten als nach der Finanzkrise 2008/09.
Damals sind in der Region Bodensee-Oberschwaben die Unternehmensinsolvenzen laut IHK um rund 50 Prozent angestiegen – je 1000 umsatzsteuerpflichtige Unternehmen von rund 2,75 (2007) auf rund 4,1 (2009). Aktuell (2018) liegen sie bei 3. „Wir gehen im Zuge der Corona-Krise wieder von einem starken Anstieg aus, zumal einige Prognosen darauf hindeuten, dass die jetzt zu erwartende Rezession stärker sein wird als die nach der Finanzkrise“, so Jany.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag habe aktuell 15000 Unternehmen aller Größenklassen befragt, demnach sehe sich fast jeder fünfte Betrieb einem Insolvenzrisiko ausgesetzt. Aus der Finanzkrise 2008/2009 habe manches Unternehmen gelernt und das Eigenkapital erhöht. Auch aufgrund des langjährigen Aufschwungs gehe es vielen Unternehmen so gut, dass sie die Krise eine Zeit lang schultern können. Auf Kleinunternehmen treffe das aber nicht unbedingt zu.
Mit Soforthilfen können sich Unternehmen zunächst über Wasser halten. „Das rettende Ufer wird erst erreicht, wenn die Wirtschaft wieder auf Touren kommt“, so Jany. Er fordert, dass bei einer längeren Dauer der Krise die Einkommen von Haushalten und Unternehmen durch den Staat erhöht werden müssen, um die Nachfrage anzukurbeln und zu einer schnelleren Erholung beizutragen.
Auch im Handwerk geht man davon aus, dass mehr Betriebe als in den letzten Jahren infolge der Krise Insolvenz anmelden müssen – und sorgt sich um kleine Betriebe. Mehr als 80 Prozent der Soforthilfeanträge aus dem Handwerk kommen von Betrieben mit bis zu fünf Mitarbeitern. Besonders Friseure, Kosmetiker, Messebauer, Kraftfahrzeugtechnikbetriebe, Elektrotechniker und Gebäudereiniger, aber auch Lebensmittelbetriebe, die durch ausfallende Veranstaltungen Einbußen verzeichnen, wie auch Brauer seien betroffen.
Aktuell ist die Zahl der Insolvenzanträge beim Amtsgericht Ravensburg noch unauffällig, was auch damit zu tun hat, dass die Insolvenzantragspflicht, die eigentlich zum Beispiel für GmbHs gilt, bis zum 30. September unter bestimmten Bedingungen ausgesetzt wurde. Dazu erklärt IHK-Geschäftsführer Jany: „Beruht die Insolvenzreife allein auf den Folgen der Corona-Pandemie und besteht die Aussicht, dass die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens bald wiederhergestellt wird, hat das Unternehmen bis Ende September Zeit, eine Sanierung unter Vermeidung eines Insolvenzverfahrens zu bewerkstelligen.“Allerdings sei es auch für Firmenleitungen äußerst schwierig, in dieser Lage die künftige Geschäftsentwicklung abzuschätzen. Das bestätigt die Handwerkskammer. Weil Fehleinschätzungen die zivilrechtliche Haftung von Geschäftsführern und Vorständen auslösen kann, rät Jany Unternehmern in finanzieller Schieflage, dringend Beratung zu suchen.
Der Ravensburger Anwalt Markus Balze, der seit 20 Jahren mit Schwerpunkt Insolvenzrecht arbeitet, sieht die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
bis Ende September kritisch, auch wenn sie den Unternehmen Zeit verschaffe. „Bisher konnte man sich sicher sein, dass das Gegenüber im Geschäftsverkehr auch bezahlt“, sagt er. Insolvenzanträge werden für die Allgemeinheit einsehbar öffentlich gemacht. „Jetzt weiß man nicht, ob es einem Geschäftspartner finanziell gut oder schlecht geht“, sagt Balze. „Da kann jetzt auch eine gewisse Vertrauenskultur kaputtgehen.“Er rät Geschäftsführern von GmbHs oder Aktiengesellschaften, die einer Insolvenzantragspflicht unterliegen, regelmäßig zu prüfen: „Bin ich überschuldet? Hängt das mit Covid-19 zusammen? Oder bin ich aus anderen Gründen nicht mehr liquide?“Für letzteren Fall muss er den Insolvenzantrag trotz Corona-Krise schon jetzt stellen.