Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Seuche der Vieltellerei
Der Krise gänzlich überdrüssig müssen wir noch einmal über Beobachtungen sprechen, die sich durch die derzeit unvermeidliche Konzentration auf die Kernfamilie ergeben. Dinge, auf die wir in Zeiten, in denen wir das Haus ohne Einschränkungen verlassen und bei Bedarf sogar fluchtartig verreisen dürfen, nicht so recht achten. Zum Beispiel, welche Essenstypen sich täglich um den heimischen Tisch versammeln.
Da gibt es einerseits den Das-Beste-zuerst-Esser. Diese Gattung vertilgt stets die leckersten Happen auf dem Teller als Erstes und argumentiert seine Chronologie der Nahrungsaufnahme damit, dass ihn ja im ungünstigsten Fall der Schlag beim Speiseverzehr treffen könnte. Und wie schade es wäre, still dahinzuscheiden, während etwa die Spargelspitzen noch unberührt dalägen. Natürlich gibt es auch den gegenteiligen Typen, der zunächst brav Gemüse und Kartoffeln isst, bevor er sich langsam zum Filet vorarbeitet.
Ganz anders Kinder, die sich oftmals durch penible Parzellierung aller einzelnen Lebensmittelkomponenten auszeichnen und auch zur
Vieltellerei neigen, da sie es nicht mögen, wenn Fleisch, Beilage, Soße und Gemüse sich im selben Gefäß befinden. Die Krönung unter den merkwürdigen Essenstypen aber sind die Von-unten-nach-oben-Löffler. Diese spezielle und dem Autor persönlich bekannte Spezies versucht, die am Boden eines Joghurtbechers liegende Fruchtzubereitung zuerst zu verzehren – aber ohne die rund acht Zentimeter dicke Joghurtschicht zu verletzen. Es wird Zeit, dass wir wieder fluchtartig verreisen dürfen. (nyf)