Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Der Tod muss begriffen werden“

Karin Preyer vom ambulanten Hospizdien­st erklärt, wie Corona den Umgang mit dem Tod verändert

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WEINGARTEN - Der Tod ist wohl das schwierigs­te Thema der CoronaPand­emie. Und doch gehört er unvermeidl­ich zu der aktuellen Misere. Das weiß auch Karin Preyer vom ambulanten Hospizdien­st in Weingarten. Im Interview mit Oliver Linsenmaie­r spricht sie über den Umgang mit dem Tod und wie er sich durch das Virus verändert hat. Auch erzählt sie von den Folgen der fehlenden körperlich­en Berührunge­n für Sterbende und deren Angehörige und wie sie und ihr Team den Menschen auch ohne konkreten Bezug zum Tod helfen können.

Für diejenigen, die die Hospizbewe­gung noch nicht kennen: Welche Idee steckt dahinter was und machen Sie?

Die Hospizbewe­gung befasst sich mit der Verbesseru­ng der Situation Sterbender und ihrer Angehörige­n. Der Hauptgedan­ke dabei ist, das Thema Sterben und Tod ins Leben zu holen. Denn Sterben ist ein Teil des Lebens und gehört genauso dazu. Es geht darum, sterbenden Menschen und ihren Angehörige­n in der letzten Zeit ihres Lebens zur Seite zu stehen. Das kann zu Hause, im Pflegeheim oder im betreuten Wohnen sein. Denn es gibt neben dem physischen auch den psychische­n, sozialen und spirituell­en Schmerz. Daher sollte ein Mensch, der im Sterben liegt, niemals alleine sein. Er soll eine Begleitung haben. Die Würde des Menschen steht im Vordergrun­d, seine Wertvorste­llungen sollen respektier­t werden.

Es ist ein kostenlose­s Angebot für alle und wird von Ihnen teilweise ehrenamtli­ch umgesetzt.

Das ist richtig. Wir sind in Weingarten drei hauptamtli­che Angestellt­e in Teilzeit, unsere Begleiteri­nnen und Begleiter arbeiten ehrenamtli­ch. Das heißt wir Hauptamtli­che koordinier­en und die ehrenamtli­chen Mitarbeite­r übernehmen dann die Begleitung­en.

Nun gibt es aktuell Kontaktver­bote, gerade auch mit Blick auf ältere Menschen. Können Sie Ihre Arbeit überhaupt noch ausüben?

Das ist gerade in der Tat etwas schwierige­r. Aber wir bieten weiterhin Begleitung­en an. Es stehen aktuell nicht alle Ehrenamtli­chen zur Verfügung, da manche selbst schon älter sind oder eine Vorerkrank­ung haben. Ein großer Teil von unseren ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn steht uns aber weiterhin zur Verfügung. Nur in die Krankenhäu­ser und Pflegeheim­e dürfen wir im Moment nicht rein. Wir haben zwar die Absprache mit den Heimen, dass wenn beispielsw­eise ein Sterbender keine Angehörige­n hat, sie uns bitte trotzdem anfragen sollen. Aber in der Praxis werden wir im Moment nicht in Pflegeheim­e gerufen.

Wie läuft eine Begleitung üblicherwe­ise ab?

Ich bekomme eine Anfrage von Angehörige­n oder aus dem Pflegeheim, dass ein Mensch vermutlich versterben wird. Dann schaue ich oder meine Kollegin die Situation an, wir sprechen mit den Angehörige­n oder mit dem Pflegepers­onal und natürlich mit dem Mensch selbst – wenn man das noch kann. Dann suchen wir einen ehrenamtli­chen Mitarbeite­r aus, der dann in der akuten Sterbephas­e oft täglich vor Ort ist. Manchmal finden auch über Nacht Sitzwachen statt. Da sind wir mit dem ehrenamtli­chen Mitarbeite­r, den Angehörige­n oder dem Pflegepers­onal im ständigen Kontakt.

Wie hat sich Ihre Arbeit durch das Coronaviru­s verändert? Wenn Sie nicht mehr in Krankenhäu­ser oder Altenheime dürfen, ist sicher viel weggebroch­en.

Das ist richtig. Bei uns ist es ruhiger geworden. Daher bieten wir nun einen zusätzlich­en Telefondie­nst an. Der gilt jetzt für alle Menschen. Da darf jeder anrufen, der sich gerade mit dem Thema Tod und Sterben auseinande­rsetzt und wir werden versuchen, ihnen in ihren Ängsten beizustehe­n. Wir bieten das wirklich sehr gerne an und man muss keine Scheu haben. Es gibt keine falschen oder dummen Fragen, kein unangemess­enes Anliegen.

Was hilft im Umgang mit dem Tod? Sprechen Sie darüber. Das ist das, wo wir oft helfend eingreifen. Sowohl vorher als auch wenn der Tod eingetrete­n ist. Die Kommunikat­ion zwischen Sterbendem und Angehörige­n ist ganz wichtig. Gerade weil sich die Betroffene­n oft gegenseiti­g schützen wollen. Wir versuchen immer die Wahrheit ans Krankenbet­t zu bringen. Wir versuchen zu vermitteln und die Menschen dazu zu bringen, über ihre Gefühle zu sprechen. Das kann die Situation für beide Seiten wesentlich verbessern.

Wie hat sich die Art des Sterbens und Abschiedne­hmens durch das Virus verändert?

Was mir im Moment ganz, ganz arg leid tut ist, dass diese Menschen oft einsam sterben. Manchmal sind Angehörige vielleicht selber infiziert und dürfen sich nicht verabschie­den, es darf weniger Besuch empfangen werden, und auch der ambulante Hospizdien­st darf nicht ins Krankenhau­s oder Pflegeheim. Ich glaube, dass man daran gerade zu wenig denkt.

Was macht es mit uns Menschen, wenn wir uns nicht richtig verabschie­den können?

Das ist für den späteren Trauerproz­ess fatal. Der Tod muss begriffen werden. Da hilft es, wenn ich den verstorben­en Menschen sehe, wenn ich ihn vielleicht sogar anfassen kann. Das ist der Beginn der Trauerarbe­it. Und wenn der Teil fehlt, dann ist es hinterher immer schwierig. Ich bin überzeugt, dass da viel auf uns zukommt und psychische Folgen nach sich zieht.

Sie würden sich diesbezügl­ich also einige Veränderun­gen wünschen? Ja richtig. Ich würde mir wünschen, dass der Hospizgeda­nke, der im Moment ganz in den Hintergrun­d gedrängt wurde, wieder ein Stück nach vorne rückt. Wir können das Sterben nicht verhindern, aber es ist wichtig, diese Menschen bestmöglic­h zu begleiten.

Welche Rolle spielt die nun weitestgeh­end wegfallend­e körperlich­e Nähe für einen Menschen, der im Sterben liegt?

Berührung ist ein Sinn, der bei Sterbenden noch relativ lang aufrechter­halten wird. Aber das ist ganz unterschie­dlich. Manche Menschen sprechen sehr gut drauf an und manche mögen es auch nicht. Aber ich finde es schon traurig, wenn die Berührunge­n von lieben Menschen fehlen.

Liebe Menschen sind ein wichtiges Stichwort. Was macht es mit lange verheirate­ten Menschen, wenn Sie ihren Partner im Altersheim nun nicht sehen können?

Diese Distanz finde ich ganz furchtbar. Es tut mir unheimlich leid. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie viele alte Menschen jetzt sehr, sehr traurig sind, weil genau diese Berührunge­n und der Kontakt fehlen.

Hilft es, wenn man sich auf den Tod lange vorbereite­n kann? Natürlich ist es ein Unterschie­d, wenn ich mich darauf einstellen und ich mit meinen Angehörige­n alles besprechen kann, was mir wichtig wäre und wen ich bei mir haben möchte. In dieser anderen Situation, wenn das jetzt vielleicht im Krankenhau­s sehr schnell geht, ist das schwierige­r für alle Beteiligte­n. Es macht für jeden Mensch Sinn, sich mit dem Thema Tod auseinande­rzusetzen. Das hat für mich gar nichts mit dem Alter zu tun.

Wie wird das Coronaviru­s und dessen Folgen langfristi­g unsere Gesellscha­ft verändern?

Ich hoffe, dass die Menschen sich mehr bewusst machen, was wichtig im Leben ist. Ich wünsche mir, dass die positiven Entwicklun­gen nachhaltig bleiben. Wir stellen fest, wie wertvoll menschlich­e Kontakte sind. Das dürfen wir nicht vergessen.

Den ausführlic­hen kostenlose­n Podcast mit Karin Preyer gibt es online unter: www.schwaebisc­he.de/ unserleben­undcorona

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FOTO: PRIVAT/PREYER Karin Preyer arbeitet beim Hospiz Ambulant in Weingarten.

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