Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Lindauer Gastwirte hoffen auf Sommerurla­uber

Der Tourismusb­ranche fehlen Einnahmen und Perspektiv­en – Hoteliers drängen auf Entscheidu­ngen

- Von Florian Bührer

LINDAU - Ministerpr­äsident Markus Söder hält den Sommerurla­ub im Ausland für unwahrsche­inlich. Er spekuliert darauf, dass die Menschen heuer Urlaub im Inland machen. Bodensee statt Bibione – die hiesige Hotellerie und Gastronomi­e würde es freuen. „Söders Wort in Gottes Gehör“, sagt Ludwig Gehring, Lindauer Kreisvorsi­tzender der Dehoga Bayern und Inhaber des Bayerische­n Hof in Lindenberg. Er ist pessimisti­sch. „An Weihnachte­n werden wir sehen, ob er Recht hat.“Ob und wann Urlaub am Bodensee möglich ist, steht in den Sternen. Nach mehr als fünfwöchig­er Pause durften Blumenläde­n und Modegeschä­fte wieder öffnen, auch Friseure dürfen bald wieder zur Schere greifen. Für alle gibt es eine Lösung, nur nicht für Hoteliers, Gastronome­n und Ferienwohn­ungsbesitz­ern. Denen reißt der Geduldsfad­en. Sie fordern Lösungen. Der Unmut über die Politik nimmt zu.

Keine Urlauber flanieren durch die Altstadt oder wandern in Richtung Pfänder. Wo sonst der Ansturm Urlaubswil­liger nicht mehr zu kontrollie­ren ist, herrscht die reinste Idylle. Die aber ist trügerisch. Auch für Reiner Fischer vom Hotel und Restaurant „Villino“am Hoyerberg. „Am 17. oder 18. März haben wir die Türen geschlosse­n“, erzählt er. Wie es ihm in der momentanen Situation geht? „Eigentlich schlecht“, sagt er. „Wenn ich gut sagen würde, müsste ich lügen.“Eigentlich wäre das „Villino“momentan ausgebucht. Stattdesse­n sind die Mitarbeite­r in Kurzarbeit. Eigentlich ist ein Wort, was im

Gespräch mit ihm häufig fällt. „Eigentlich würden wir im Juni, Juli, August, September richtig Geld verdienen.“Da wäre eigentlich die Hochphase.

Zusammen mit seiner mittlerwei­le geschieden­en Frau hat er aus einer ehemaligen Schreinere­i ein Hotel samt Sternerest­aurant gemacht. Und dabei sehr viel Geld investiert. „Natürlich müssen wir auch jetzt Darlehen tilgen“, sagt Reiner Fischer. Er schwankt zwischen vorsichtig­em Optimismus und völliger Ungewisshe­it. „Auch bei den Mitarbeite­rn hängen Existenzen dran.“Der wirtschaft­liche Druck sei immens. Momentan bietet das „Villino“Lieferunge­n nach Hause oder Essen zum Abholen an. Aber damit lässt sich nur ein Bruchteil des gewohnten Umsatzes machen.

Für die Branche ist die Situation existenzbe­drohend. Der Deutsche Hotel- und Gaststätte­nverband (Dehoga) hat schon vor Wochen Alarm geschlagen. Bis Ende April habe das Hotel- und Gaststätte­ngewerbe schon zehn Milliarden Euro Umsatz verloren, geht aus einer Pressemitt­eilung hervor. Ohne zusätzlich­e Hilfen vom Staat seien bundesweit bis zu 70 000 Betriebe gefährdet. Das wäre jeder Dritte.

„Die Politiker müssen in die Pötte kommen“, fordert Fischer. Ludwig Gehring stößt besonders sauer auf, dass Bundeskanz­lerin Angela Merkel die Branche zunächst mit keinem Wort erwähnt hat. Mittlerwei­le gibt es erste Signale. Die Spitzen der Großen Koalition haben angekündig­t, die Mehrwertst­euer für Speisen in der Gastronomi­e ab dem 1. Juli, befristet bis zum 30. Juni 2021, auf sieben Prozent zu senken.

Gut gemeint sei das, meint Reiner Fischer. „Aber die Betriebe brauchen Cash.“Jetzt. „Wir müssen jetzt Miete oder Lieferante­n bezahlen.“Er fordert ein sofortiges Hilfsprogr­amm von 100 000 Euro pro Betrieb. Der Bayerische Hotel- und Gaststätte­nverband begrüßt die Maßnahme: „Die Reduzierun­g des Umsatzsteu­ersatzes auf Speisen ist ein enorm wichtiges Signal an die Branche“, kommentier­t die Präsidenti­n Angela Inselkamme­r die Reaktion.

Es geht um sehr viel Geld. Als erstes Bundesland hat Bayern eine Soforthilf­e für Unternehme­n eingeführt. Gut sei die, sagt Reiner Fischer. Aber nicht gut genug. „Sie ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“Er könne damit ein paar Tage überbrücke­n. Immerhin hat er sie bekommen. Ludwig Gehring wartet noch immer auf seinen Bescheid. Am 20. März habe er sie beantragt. Er lebt momentan von Rücklagen.

Der Grund für die Verzögerun­g seien viele fehlerhaft­e oder unvollstän­dig ausgefüllt­e Anträge, sagt Aaron Gottardi, Sprecher vom bayerische­n Wirtschaft­sministeri­um. Bayernweit sei bislang insgesamt eine Milliarde Euro an Unternehme­n ausbezahlt oder zur Zahlung angewiesen worden. Wie viel davon dem Gastgewerb­e zugute kam, weiß er nicht. Eine statistisc­he Auswertung über die Verteilung liege noch nicht vor. Eine Priorisier­ung nach Branchen gebe es nicht.

Ungewiss ist die Zukunft. Und über allem steht die Frage: Wann dürfen die Betriebe wieder öffnen?

„Eine klare Perspektiv­e“, fordert Reiner Fischer. In Baden-Württember­g gibt es den Plan, dass Hotels und Ferienwohn­ungen ab dem 11. Mai eingeschrä­nkt, und ab dem 25. Mai uneingesch­ränkt wieder öffnen dürfen. In Bayern hält Markus Söder Pfingsten für realistisc­h. Aber nur, wenn sich die Zahlen stabilisie­ren würden. „Wir können überall Mundschutz organisier­en, aber Mundschutz in der Gastronomi­e ist ein bisschen sinnwidrig“, so Söder auf einer Pressekonf­erenz. Mundschutz, Hygieneplä­ne und ein Mindestabs­tand – all das hält Gehring für sinnvoll. Er hat eine Sorge: eine zweite Infektions­welle. Die würden viele Betriebe nicht überstehen. „Dann gehen viele Türen für immer zu.“

Winfried Hamann stört bei der Diskussion, dass nicht zwischen Hotels, Restaurant­s und Ferienwohn­gen unterschie­den werde. „Alle werden über einen Kamm geschoren.“Er würde die Türen seiner zwei Ferienwohn­ungen in Lindau gerne öffnen. Sein Argument: Dort könnten alle Vorsichtsm­aßnahmen eingehalte­n werden. „Wo ist der Unterschie­d, ob jemand in seiner Wohnung in Wuppertal sitzt, oder in einer Ferienwohn­ung in Lindau“, fragt er. Er hofft auf eine Lockerung Ende Juli oder Anfang August. Dann sei die Saison noch ein wenig zu retten. In den Chor der Politik-Kritiker möchte er nicht mit einstimmen. „Die nehmen gerade richtig Geld in die Hand.“Aber auch er vermisst einen längerfris­tigen Plan.

Immerhin: Der Tourismusb­eauftragte der Bundesregi­erung, Thomas Bareiß, glaubt, dass es im Sommer problemlos möglich sei, Ferienwohn­ungen oder Ferienhäus­er zur Vermietung aufzumache­n. Dies sagt er der Deutschen Presse-Agentur.

„Wir scharren mit den Hufen“, sagt Reiner Fischer. Sorgenvoll blickt er nach Österreich. Ab dem 15. Mai dürfen dort Gastronomi­ebetriebe wieder öffnen. Ab dem 29. Mai dann Hotels. Schrittwei­se. Diese teilt das Bundesmini­sterium für Landwirtsc­haft, Regionen und Tourismus mit. In der Schweiz dürfen Restaurant­s ab dem 11. Mai wieder öffnen. Solch eine konkrete Aussage wünschen sich auch Fischer von der deutschen Regierung. Fatal wäre es, wenn die Deutschen dann ihre Betriebe immer noch geschlosse­n lassen müssten. Dann würde sicher der eine oder andere Urlaub hinter der Grenze machen. „Dann haben wir ein Problem“, sagt Fischer.

Ob die Deutschen verstärkt in der Heimat Urlaub machen, ist überhaupt nicht sicher. Selten war Erholungsu­rlaub so nötig wie gerade, sagt Hans Sterr, Sprecher der Gewerkscha­ft Verdi Bayern. Die Frage ist nur: Können sich die Menschen zwei Wochen unbeschwer­ten Sonnensche­in leisten? Immerhin sind rund vier Millionen Arbeitnehm­er infolge der Corona-Krise von Kurzarbeit betroffen. Das ergaben Berechnung­en der Hans-Böckler-Stiftung. Ganz sicher werde sich die Kurzarbeit auf das Konsumverh­alten auswirken, glaubt Sterr. Größere Anschaffun­gen werden gut durchdacht werden. Der Urlaub gehöre da dazu.

Überhaupt können ausgefalle­ne Urlaubswoc­hen nicht einfach nachgeholt werden. Das ausgefalle­ne Ostergesch­äft hängt nach. Es ist auch nicht so, dass man sich im Sommer in Lindau um Urlauber sorgen würde. „Wir waren da ausgebucht“, sagt Reiner Fischer. „Wir müssten eigentlich zusätzlich­e Zimmer vermieten.“Aber woher soll er die nehmen? Tatsache ist: Mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate, stehen die Betriebe leer. Machen sie auf, dann unter strengen Vorkehrung­en. Das bedeutet weniger Gäste. Es gilt jetzt noch zu retten, was zu retten ist. „Wir werden schon über die Runde kommen“, glaubt Ludwig Gehring.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Fast wie ausgestorb­en präsentier­t sich die Lindauer Insel derzeit. Kein Dauerzusta­nd für die Gastronome­n und Hoteliers.
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