Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Nicht unmöglich, dass Kinder schwer erkranken“
RAVENSBURG - Seit Ende April gibt es Berichte von schweren Krankheitsverläufen bei Kindern, die mit starken Entzündungen der Blutgefäße einhergehen, ähnlich dem sogenannten Kawasaki-Syndrom. Ulrich Mendelin hat dazu den Virologen Professor Thomas Mertens befragt.
Was ist über die Fälle, die dem Kawasaki-Syndrom ähneln, bekannt?
Das Kawasaki-Syndrom wurde 1967 von dem gleichnamigen japanischen Kinderarzt beschrieben. Die Bezeichnung Syndrom bedeutet in der Medizin immer, dass es sich um eine Gruppe von Symptomen handelt, die vollständig oder teilweise zum gleichen Zeitpunkt auftreten. Meist kennt man die genaue Ursache und Krankheitsentstehung nicht. Das klassische KawasakiSyndrom tritt in der Regel bei Kindern unter fünf Jahren auf und häufiger bei Jungen als bei Mädchen. Man weiß, dass es eine starke genetische Veranlagung gibt, denn die Erkrankung tritt bei Japanern und weiteren Asiaten viel häufiger auf als bei uns, auch dann, wenn diese in westlichen Ländern leben. Es gibt eine jahreszeitliche Häufung. Für die Entstehung der Erkrankung spielen offenbar verschiedene Infektionen (auch altbekannte Coronaviren) und eine besondere Immunantwort der Kinder eine Rolle. Hohes Fieber besteht immer, mit weiteren Krankheitszeichen eines Atemwegsinfektes, Bindehautentzündung, Hautausschlag und Lympphknotenschwellungen. Leider spielt sich die eigentliche Erkrankung an kleinen und mittleren Blutgefäßen (Arterien) ab. Hierdurch kann es zu schweren Komplikationen am Herz, Nervensystem und anderen Organen kommen. Spätschäden an den Herzkranzgefäßen und anderen Arterien sind möglich. Es sind nun an verschiedenen Orten dieser Welt Fälle eines Kawasaki-ähnlichen Syndroms im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 Infektionen beschrieben worden, was uns natürlich sofort an die Tatsache erinnert, dass Infektion der Gefäße auch bei Covid-19 eine Rolle spielt (Folge 37 vom 9. Mai). In dem Gebiet um Bergamo, wo das Epizentrum der italienischen Sars-CoV-2 Epidemie lag, hat man einen 30-fachen Anstieg Kawasaki-ähnlicher Krankheitsfälle bei Kindern festgestellt im Vergleich zu den fünf Jahren vor Covid-19. Diese Kinder waren etwas älter und zeigten schwerere Krankheitsverläufe mit Beteiligung des Herzens. Die Komplikation bei Kindern ist offenbar selten, und es ist nicht verwunderlich, dass sie erst auffällt, wenn mehr Kinder infiziert werden.
Gibt es bestimmte Gruppen von Kindern, die für einen solchen Krankheitsverlauf anfälliger sind als andere?
Die Risikogruppen für das klassische Kawasaki-Syndrom hatte ich bereits oben genannt, Alter, Ethnie und Geschlecht. Bei der Covid-19Komplikation weiß man darüber noch nichts, wie man ja auch über mögliche Risikofaktoren bei den früheren Kawasaki-Fällen europäischer Kinder nichts weiß.
Inwieweit besteht für Eltern deswegen Anlass zur Sorge?
Es ist offenbar selten, aber eben nicht unmöglich, dass auch Kinder schwer an Covid-19 erkranken. Das war zu erwarten und auch bekannt. Wir hatten ja bereits in dieser Kolumne darüber gesprochen.