Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Statt live beim Bodenseefestival Neues auf CD
Das Vision String Quartet wäre das Ensemble in residence beim diesjährigen Bodenseefestival gewesen. Es hätte sich mit klassischen und zeitgenössischen Werken ebenso wie mit Jazz und Pop, Groove und Lichtshow vorgestellt. Die vier jungen Musiker aus Berlin sind vielseitig in ihrem Repertoire, ähnlich vielleicht wie die französischen Kollegen vom Quatuor Ebène. Sie mischen den strengen Konzertauftritt gehörig auf, musizieren auswendig, im Stehen und mit bohrender Intensität – so zeigt es der Mitschnitt vom Concours de Genève, den sie 2016 für sich entschieden.
Im vergangenen Frühjahr gingen sie schließlich ins Aufnahmestudio, um endlich ihre Debüt-CD auf den Weg zu bringen: „Memento“heißt sie und lässt mit Schuberts „Der Tod und das Mädchen“und Mendelssohns f-Moll-Quartett op. 80 aufhorchen.
Franz Schubert stellt die Variationen über sein eigenes gleichnamiges Lied ins Zentrum, Felix Mendelssohn-Bartholdy reagiert mit seinem höchst persönlichen Quartett auf den plötzlichen Tod seiner Schwester Fanny Hensel. Die beiden Werke sind also eng aufeinander bezogen, sind getragen von Angst, Trauer, Aufbegehren und Todesangst.
Beim Vision String Quartet, das bei den Meistern des Alban Berg und des Artemis Quartetts studierte, sind die hohe Energie und die Unbedingtheit des Ausdrucks mit jedem Takt spürbar. Manches klingt beklemmend fahl, körperlos und doch gerade in der Zurückgenommenheit sehr farbenreich. Beim bekannten Schubert-Werk folgt man neugierig durch alle Nuancen im Zusammenspiel der vier Stimmen und lässt sich mitreißen von der weit gespannten Dynamik.
In Mendelssohns letztem Quartett sind die Trauer um die Schwester, die Felix‘ engste Vertraute in Musikfragen gewesen war, und die eigene Todesangst geradezu greifbar. Den langsamen Satz gestalten die „Visions“als innigen Abschiedsgruß, nachdrücklich und doch berührend schlicht. Das Finale mit seinen erschütternden Emotionen macht deutlich, dass der Komponist seine Schwester nur um wenige Monate überlebte.
Das Vision String Quartet gibt hier ein fulminantes Debüt und lässt um so mehr auf eine Live-Begegnung „nach Corona“hoffen. (gla)