Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Unverständnis bei den Blutreitern
Bekannte Prozessionsteilnehmer hadern mit der Begründung der Unesco-Absage
WEINGARTEN - Mit jeder Menge Unverständnis reagieren bekannte Blutreiter aus Weingarten auf die Entscheidung der Kultusministerkonferenz, die Reiterprozession nicht auf die bundesweite Vorschlagsliste für das immaterielle Welterbe der Unesco zu setzen (die SZ berichtete). Doch obwohl viele der Befragten betonen, wie wichtig Gleichberechtigung für sie persönlich sei: Das Argument, dass sich der Blutritt künftig auch für Frauen öffnen müsse und welches letztlich den Ausschlag für den negativen Bescheid gegeben hatte, können viele nicht verstehen. Etwas anders sieht das der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf, der selbst immer mitreitet. Er kann der Entscheidung auch etwas positives abgewinnen.
„Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Entscheidung der Kommission einen Diskussionsprozess in Gang setzt. Ich persönlich fühle mich an die Zeit erinnert, als diskutiert wurde, ob Mädchen auch Ministrantinnen werden können. Ich, damals selbst leidenschaftlicher Ministrant, war vehementer Befürworter einer Öffnung“, erinnert sich Wolf. Heute sei es selbstverständlich, dass Mädchen sich als Ministrantinnen engagieren und zumindest als solche aktiv am Blutritt teilnehmen.
Darüber hinaus spielte es für den gebürtigen Weingartener Wolf auch nie eine Rolle, ob der Blutritt als immaterielles Welterbe eingestuft wird oder nicht. Und das werde es auch in Zukunft nicht. Die tief verwurzelte Tradition ist für ihn ein „bedeutender und emotionaler Tag im Jahr“, wie er es formuliert. „Das Schöne am Blutritt ist auch: Alle Teilnehmer sind gleich, einer Meinung eines Ministers kommt da kein höherer Stellenwert zu als der jedes anderen Blutreiters.“
Klare Worte findet derweil Bundestagsabgeordneter Axel Müller, der ebenfalls seit vielen Jahren als Reiter am Blutritt teilnimmt. „Ich bin nicht dafür, dass Frauen beim Blutritt mitreiten“, sagt er. „Es ist etwas besonderes, dass Männer in einer eigenen Form beim Beten unter sich sind.“Durch eine Teilnahme der Frauen würde die Wallfahrt ihren Charakter verlieren. Man müsse sich fragen, ob man den Blutritt in die heutige Zeit einbetten wolle.
Für ihn persönlich ist die Antwort klar. Schon als Stadtrat und Kirchengemeinderat habe er sich gegen eine Bewerbung zum immateriellen Kulturerbe der Unesco ausgesprochen. Man wäre dadurch auf eine Ebene mit Volksfesten gestellt worden. „In diese Kategorie würde ich den Blutritt nicht einordnen wollen“, sagt er. „Man wäre gut beraten gewesen, den Antrag gar nicht zu stellen.“Daher macht es für den Bundestagsabgeordneten auch keinen Sinn, sich erneut um das immaterielle Kulturerbe zu bewerben.
Eine abermalige Bewerbung hält auch der stellvertretende Vorsitzende der Welfenfestkommission und Blutreiter Horst Wiest für wenig zielführend. „Für mich ist das abgehakt. Wenn das das Hauptkriterium ist, kann ich das nicht nachvollziehen“, sagt der Stadtrat. „Am Blutfreitag ändert das gar nichts. Für Weingarten wäre es ein Werbeeffekt erster Sahne gewesen.“Ihm persönlich sei es egal, ob Frauen an der Prozession teilnehmen dürfen oder nicht. Doch habe
Guido Wolf, Blutreiter und baden-württembergischer Justizminister er das auch nicht zu entscheiden. Doch glaubt Wiest auch nicht, dass eine Öffnung der größten Reiterprozession Europas wirklich etwas verändern würde. Schließlich seien in der Kirche Mann und Frau bis heute nicht gleichberechtigt. Daher findet Wiest, dass ein Impuls zur Gleichstellung der Frau von der Kirche kommen müsste. „Wenn sich die Kirche zuerst öffnet, brauchen wir über den Blutfreitag gar nicht mehr zu sprechen.“
Selbst der Weingartener Brauchtumsexperte Jürgen Hohl, für den das Thema Gleichberechtigung in etwas anderer Form ein Lebensthema ist, da er seine Homosexualität in jungen Jahren verstecken musste und wegen Anfeindungen zeitweise sogar Weingarten verlassen hatte, kann die Entscheidung der Unesco-Kommission nicht nachvollziehen. Ihm persönlich wäre es zwar gleich, ob Frauen an der Prozession teilnehmen oder nicht.
Es gäbe aber doch viele andere Reiterprozessionen, an denen Frauen teilnehmen könnten. „Nur der Aspekt der Gleichberechtigung. Das greift das Thema zu kurz“, sagt er mit Blick auf die historische Bedeutung. „Die Kommission hat den Blutritt noch nicht erlebt. Und wenn man den Blutritt noch nicht erlebt hat, kann man ihn auch nicht bewerten.“
„Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Entscheidung einen Diskussionsprozess in Gang bringt.“