Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Freiheit, die in eine Spritze passt
Ein Corona-Impfstoff würde die Rückkehr zur Normalität ermöglichen – Ein Erfolg der Forscher könnte jedoch weltweit zu schweren Konflikten führen
RAVENSBURG - In der Krise kommt der Konflikt. Die Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus gleicht mehr einem Wettkampf – den vor allem zwei Länder mit harten Bandagen kämpfen. Und die ganze Welt hofft. Denn damit wären die Maßnahmen – die auch die Wirtschaft hart treffen – nicht mehr nötig. Ein Impfstoff ist Freiheit, die in eine Spritze passt.
Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und UN-Generalsekretär António Guterres bezeichnen ihn daher als „öffentliches Gut“. Das sehen nicht alle Staats- und Regierungschefs so. Bis zur Entwicklung eines Impfstoffs ist es ohnehin noch ein weiter Weg, auch wenn die Welt unter Hochdruck danach sucht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt weltweit rund 120 Sars-CoV-2Impfstoffprojekte von Firmen, Instituten und Universitäten. Die derzeit aussichtsreichsten laufen in China, den USA, England und Deutschland. In acht klinischen Phase-1-Studien werden dort an Menschen aktuell erstmals verschiedene Mittel auf Unbedenklichkeit getestet.
Bis ein Impfstoff entwickelt und für den Markt zugelassen ist, vergehen für gewöhnlich Jahre. Jetzt soll alles schneller gehen. Am Freitag sagte US-Präsident Donald Trump, Ziel sei es, bis zum Jahresende einen Impfstoff zu entwickeln, vielleicht auch etwas früher oder etwas später. Die Arbeit laufe in „Rekord-Rekord-Rekord-Geschwindigkeit“. Die WHO rechnet jedoch mit 15 bis 18 Monaten. Wann ein sicherer Sars-CoV-2-Impfstoff tatsächlich verfügbar ist, „kann niemand verlässlich sagen“, erklärt Professor Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut, der „Schwäbischen Zeitung“. Damit bremst der Virologe auch jene Optimisten, die einen Impfstoff noch für dieses Jahr voraussagen.
Doch die Entdeckung eines Impfstoffes ist nicht automatisch eine gute Nachricht. Er steht nicht sofort allen Menschen zur Verfügung. Seine Herstellung in großen Mengen dauert – je nach Wirkstofftyp – unterschiedlich lange. Und obwohl eine Pandemie eine globale Angelegenheit ist, könnte genau das nationale Egoismen wecken.
Vor allem die US-Regierung zeigt an einer weltweiten Zusammenarbeit wenig Interesse. An einer von der Europäischen Union organisierten Geberkonferenz zur Unterstützung der Impfstoff-Entwicklung Anfang Mai hatte Trump gar nicht erst teilgenommen. Mitte März hieß es gar, Trump würde sich den Impfstoff des Tübinger Biotechunternehmens CureVac für einen hohen Betrag exklusiv sichern wollen. Der kommissarische Chef des Unternehmens, Franz-Werner Haas, hatte das in der „Schwäbischen Zeitung“dementiert.
Am Donnerstag sorgte Paul Hudson, Vorstandsvorsitzender des französischen Pharmakonzerns Sanofi, für Aufsehen. Hudson sagte der Agentur Bloomberg, man würde zunächst den US-Markt mit einem möglichen Impfstoff beliefern, weil die US-Regierung ein Forschungsprojekt finanziell unterstütze. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte sich empört. Sanofi-Co-Chef Olivier Bogillot ruderte später zurück.
Politologe Jonathan Hackenbroich vom European Council on Foreign Relations erinnert in diesem Zusammenhang an ein Zitat von Trumps Handelsberater Peter Navarro. Der hatte zu Beginn der Pandemie gesagt, es gebe „in dieser Krise keine Verbündeten“. Navarro ist es auch, der die Umsetzung des „Defense Production Act“– eines Gesetzes aus Kriegszeiten – in den USA überwacht. Mit diesem kann die Regierung US-Unternehmen dazu verpflichten, bestimmte Produkte herzustellen – so wie beispielsweise den Autobauer General Motors zur Fertigung von Beatmungsgeräten. „Das Gesetz kann aber auch auf Impfstoffe angewendet werden. Damit kann der Staat als Abnehmer Priorität bekommen“, erklärt Hackenbroich. Denn die US-Regierung definiere auch die öffentliche Gesundheit als Sache der nationalen Sicherheit.
Es sei daher realistisch, dass zunächst die amerikanische Bevölkerung den knappen Impfstoff erhält, um auch die marode Wirtschaft wieder hochzufahren. „Erst dann könnten die USA in die Länder liefern, die sie bevorteilen möchten“, sagt Hackenbroich.
Gleichwohl glaubt er nicht, dass Trump der Welt einen möglichen Impfstoff allzu lange vorenthalten kann. „Das Bild, dass wegen seiner politischen Entscheidungen Menschen weltweit sterben, könnte für Trump zum Problem werden.“Das Gezerre um einen möglichen Impfstoff nimmt gar Züge des Kalten Krieges an. Denn mit China strebt eine zweite Großmacht nach einem Impfstoff, den die kommunistische Führung für machtpolitische Zwecke nutzen möchte. Die US-Sicherheitsbehörden
FBI und CIA warnten USPharmaunternehmen schon vor Ausspähversuchen Chinas. Hackenbroich hält es auch für möglich, dass China durch Hacking gar Forschungsfortschritte behindern könnte.
Denn auch Chinas Interesse geht über medizinische Motive hinaus. Peking könnte als „Retter in der Not“Staaten wie Deutschland oder südeuropäische Länder beliefern und so seinen Einfluss innerhalb der EU ausweiten, wie Hackenbroich erklärt. Das habe Peking bereits in der Vergangenheit versucht. Es habe Italien in der Corona-Krise mit Schutzmaterialien und Ärzten ausgeholfen, chinesische Unternehmen hatten in Portugal oder Griechenland in kritische Infrastruktur investiert. Diesen Aufstieg Chinas zu bremsen sei die Philosophie der US-Administration, so Hackenbroich. Auch Peter Liese (CDU) hält solche machtpolitischen Manöver Chinas für möglich. Schwieriger würden die Verhandlungen aber mit den USA, auch „aufgrund der Persönlichkeit des Präsidenten Trump“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament. Im aktuellen US-Wahlkampf könnte Trump „als Messias auftreten und sagen: ,Ich bringe euch den Impfstoff’“, so Liese weiter. Damit könne er seine Fehler aus dem Krisenmanagement überdecken.
Doch die EU habe laut Mediziner Liese Möglichkeiten, um diesen von einer Impfstoff-Blockade abzubringen. In der höchsten Eskalationsstufe hält Liese einen Handelskrieg zwischen den USA und der EU für „erwägenswert“. Denn hohe EU-Strafzölle auf US-Produkte hätten auch im vergangenen Handelsstreit „ziemlich gut gewirkt“, sagt er. „Es könnte notwendig werden, die Folterwerkzeuge zu zeigen. Doch am besten ist, sie nie einsetzen zu müssen.“
Europäische Pharmaunternehmen und Verbündete wie Israel oder Kanada könnten die Impfstoff-Baupläne aber auch per Zwangslizenz erwerben. „Die Hersteller könnten sie nach Zahlung einer Zwangsgebühr nicht davon abhalten, den Impfstoff zu produzieren“, sagt Liese. Die Rezepte dafür seien öffentlich. Wie bei allen Patenten seien die Pharmafirmen zu einer Veröffentlichung verpflichtet. Grundsätzlich plädiert Liese aber für den Dialog. Das habe die EU auch mit der Geberkonferenz versucht. Aber: „Die USA waren nicht dabei, China nur durch einen sehr nachrangigen Vertreter.“
7,4 Milliarden Euro sind am 4. Mai bei dem virtuellen Treffen zwischen 40 Staats- und Regierungschefs, Initiativen, Firmen und Stiftungen zusammengekommen. Damit soll vor allem die Entwicklung eines Impfstoffs unterstützt werden, der auch ärmeren Ländern zur Verfügung steht. Experten befürchten jedoch, dass für die Entwicklung und Herstellung weitaus mehr Geld nötig ist. Gesundheitsexpertin Ilona Kickbusch hält die Initiative dennoch für einen wichtigen Schritt, den Impfstoff weltweit „sehr viel breiter verfügbar“zu machen. „Die EU hat damit eine wichtige Rolle eingenommen“, sagt die frühere WHO-Mitarbeiterin und heutige Direktorin des Zentrums für Globale Gesundheit im Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien.
Auch Kickbusch beschreibt die Impfstoffentwicklung als „Wettlauf für Länder und Firmen“. Damit dieser sich für Konzerne lohne, könnte eine globale Beschaffungsagentur den Pharmafirmen eine gewisse Abnahmemenge garantieren und den Impfstoff zu „bezahlbaren Preisen“verteilen. So könnten auch ärmere Länder zum Zuge kommen. Solch eine öffentlich-private Zusammenarbeit habe sich in der Vergangenheit bei anderen Impfstoffen bewährt. „Cepi“ist solch eine Impf-Allianz aus öffentlichen, privaten, zivilgesellschaftlichen und philanthropischen Organisationen. Gegründet wurde sie 2017, um Impfstoffe gegen künftige Epidemien zu entwickeln.
Auch der Internationale Verband der forschenden Pharmafirmen IFPMA hätte sich zur Zusammenarbeit mit Impfallianzen bereit erklärt. „Es wäre schwierig für eine Pharmafirma, sich einer globalen Zusammenarbeit zu verschließen“, sagt Kickbusch. Aber: „Noch weiß keine Firma, ob der Staat ihr Auflagen macht. Beispielsweise durch von Präsidenten verhängte Notverordnungen.“In den meisten Ländern seien Gesetze erlassen worden, die es Regierungen erlauben, Hersteller zum Verkauf im Inland zu zwingen, wie Amesh Adalja vom Johns Hopkins Center für Gesundheitssicherheit in Baltimore im Fachmagazin „Nature“sagte. Das lässt nichts Gutes erahnen für einen gemeinsamen Kampf gegen das Coronavirus.