Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
66 positive Sars-CoV-2-Tests in Geflügelschlachthof
Neu Infizierte arbeiteten nicht im Schlacht- und Zerlegebereich – Tönnies will Lohnerstattung durchsetzen
VECHTA (epd/dpa) - In einem Geflügelschlachthof im niedersächsischen Lohne bei Vechta ist es zu einem Corona-Ausbruch gekommen. In dem „Wiesenhof“-Betrieb haben sich 66 Personen mit dem Coronavirus angesteckt, wie der Landkreis Vechta am Wochenende mitteilte. Insgesamt wurden bei der Firma Oldenburger Geflügelspezialitäten (OGS) 1046 Abstriche genommen. Die meisten der positiv auf Sars-CoV-2 Getesteten wohnen in den Landkreisen Vechta und Diepholz.
Die Kreisverwaltung in Vechta geht nach eigenen Angaben davon aus, dass sich die Betroffenen überwiegend im privaten Bereich angesteckt haben. Das Gesundheitsamt habe alle Infizierten bereits in Quarantäne geschickt, hieß es. Die 70 direkten Kontaktpersonen seien zum Großteil ermittelt und befänden sich ebenfalls in Quarantäne; die restlichen Kontakte würden derzeit nachverfolgt. Die sogenannte Inzidenzzahl, mit der die Zahl der laborbestätigten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen angegeben wird, steigt mit den neuen Fällen von 16,24 auf 41,13. Sie bleibt damit allerdings noch unterhalb des Wertes von 50, ab dem die Landesregierung für Kreise Einschränkungen verhängen kann.
Für eine Schließung des „Wiesenhof“-Betriebs sieht der Landkreis Vechta keine Veranlassung. Es handele sich um eine Ermessensfrage, sagte Landrat Herbert Winkel (CDU) am Sonntag. „Wir konnten keinen bestimmten Infektionsherd feststellen.“Es gebe zwar ein größeres Ausbruchsgeschehen, das sich auf ein
Kartonagelager zurückführen lasse, in dem sich einige Mitarbeiter in den Pausen getroffen hatten. Das Hygienekonzept des Betriebs aber sei gut.
OGS-Geschäftsführer Karsten Turek erläuterte, bei den positiv Getesteten handele es sich um zwölf eigene Mitarbeiter, 48 Werkvertragsbeschäftigte, fünf Leiharbeiter und einen Beschäftigten einer Reinigungsfirma. Weitere 95 Beschäftigte seien in Quarantäne geschickt worden. Und: Die Infizierten arbeiteten nicht im Schlacht- und Zerlegebereich, weil dieser voll automatisiert sei.
Unterdessen will die Bundesregierung offenbar noch im Juli einen Gesetzentwurf
zum Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie beschließen. Das Gesetz könnte dann im September oder Oktober den Bundestag passieren und spätestens zum neuen Jahr gelten, wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“berichtete. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kritisierte in ihr menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. „Die Mitarbeiter“, sagte er, „wurden mitten in der Pandemie einem erheblichen Gesundheitsrisiko ausgesetzt.“
In Niedersachsen sollen für die Unterbringung von Tausenden Werkvertragsarbeitern künftig offenbar höhere Standards gelten, wie die „Neue Osnabrücker Zeitung“berichtete. So sollen jedem Arbeiter unter anderem mindestens zehn Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung stehen. Die Zeitung beruft sich bei ihrem Bericht auf Pläne von SPD und CDU.
In den vergangenen Wochen war es in mehreren Fleischfabriken zu teils massiven Corona-Ausbrüchen gekommen, unter anderem bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück mit rund 1400 Infizierten, im ebenfalls zu „Wiesenhof“gehörenden Putenschlachthof Geestland in Wildeshausen bei Oldenburg und bei Westfleisch in Coesfeld.
Gegen Tönnies ermittelt die Bielefelder Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts auf fahrlässige Körperverletzung und Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz. Konzernchef Clemens Tönnies kündigte im „Westfalen-Blatt“an, die über Werkverträge beschäftigten Mitarbeiter fest ion anzustellen zu verbessern. und Er ihre sagte Wohnsituaft allerdings auch, dass er eine Lohnkostenerstattung wegen der behördlichen Schließung seines Hauptwerks durchsetzen wolle: „Darüber wird im Zweifelsfall auch Recht gesprochen werden.“
Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) indes geht davon aus, dass Tönnies keinen Regress für die vierwöchige Zwangspause geltend machen kann. Katja Mast, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, sagte, Tönnies fehlten Einsicht und Gespür für Anstand und Verantwortung: „Was Tönnies macht, unterstreicht einmal mehr: Gesetzesverschärfungen sind dringend nötig und müssen kommen. Und das werden sie.“Tönnies hielt im „WestfalenBlatt“-Interview dagegen, er wolle verhindern, dass seine Mitarbeiter und Dienstleister bei der Verteilung von Quarantänehilfen „stigmatisiert“würden. „Manch einer hat einen politischen Feldzug gegen Tönnies geführt, und dagegen wehren wir uns jetzt auch. Wir wissen bis heute nicht, welchen Rechtsbruch wir begangen haben sollen.“Und doch werde er bis September 1000 bisherige Werkvertragsarbeitnehmer fest anstellen, so der 64-Jährige. Rücktrittsforderungen wies er zurück: „Der Kapitän gehört bei rauer See auf die Brücke.“