Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mehr war nicht drin
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Es ist verständlich, dass sich die deutsche Bundeskanzlerin oder der französische Präsident erleichtert und zufrieden zeigen. Europa ist nicht auseinandergebrochen, ein Scheitern des Gipfels wurde verhindert und wahrscheinlich konnte an diesem sehr langen Wochenende nicht mehr erreicht werden. Das billionenschwere EUFinanzpaket wurde nach vier harten Verhandlungstagen von den 27 Staats- und Regierungschefs verabschiedet. Die von Corona am stärksten betroffenen Staaten erfahren tatsächliche Solidarität in vor der Pandemie nicht für möglich gehaltener Höhe. Das ist tatsächlich historisch.
Nichtsdestotrotz müssen jetzt noch alle nationalen Parlamente und das Europaparlament zustimmen. Ein Abnicken wird es dort nicht geben, Nachverhandlungen sind wahrscheinlich. Denn wer auf die Details des Haushaltskompromisses schaut, bemerkt schnell, dass der beschlossene Finanzrahmen bis 2027 kein europäisches Konstrukt ist, sondern eine bunte Mischung nationaler Egoismen darstellt. Darüber hinaus wurde bei Zukunftsfeldern, etwa der Forschung, gespart. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte das diplomatisch „bedauerlich“, sie hätte andere Worte wählen können.
Das Ringen um eine konstruktive Lösung hat deutlich gemacht, dass diese EU nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu politischen Schritten fähig ist. Persönliche Befindlichkeiten der handelnden Personen sind wahrscheinlich das geringste Problem. Dramatisch wird es, wenn die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Grenzen der Europäischen Union wie auf einem Basar verhökert wird. Dank ihrer Zustimmung zu den Corona-Hilfen müssen zunehmend autokratisch geführte Staaten wie Ungarn, Polen oder Tschechien kaum Nachteile fürchten. Dass in einer Wertegemeinschaft von Demokratien überhaupt über unabhängige Gerichte oder Medienfreiheit diskutiert werden muss, ist unsäglich. Rechtsstaatlichkeit ist die Grundvoraussetzung für eine EU-Mitgliedschaft. Punkt.