Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wenn die Erinnerungen zerfließen
Javier Bardem spielt in „Wege des Lebens“einen Demenzkranken
Die Frage „Was wäre gewesen, wenn …?“bewegt die Menschen an verschiedenen Stationen ihres Leben. Und sie war oft schon die Grundlage für packende Kinofilme. Was ist aber, wenn jemand mit dem Zerfließen seiner Erinnerungen kämpft und auch in der Gegenwart oft „nicht ganz da“ist? Dann gestaltet sich der Blick auf die Wege des Lebens möglicherweise so fragmentiert und oft schwer durchdringlich wie der neue Film von Sally Potter.
Die Regisseurin, die auch das Drehbuch verfasst hat, kümmerte sich um ihren an Demenz erkrankten jüngeren Bruder in seinen letzten Jahren. Vermutlich hat diese Erfahrung auch die Figur der Molly (Elle Fanning) inspiriert, die sich an dem langen Handlungstag mit bedingungsloser Fürsorge für ihren Vater einsetzt und mit zunehmend wütender Verständnislosigkeit darauf reagiert, wie kalt die Gesellschaft mit Menschen umgeht, die nicht mehr der Norm entsprechen.
Denn ihr Vater Leo (Javier Bardem) ist ein Pflegefall, der sich oft nur noch durch Stammeln oder unzusammenhängend erscheinende Wortfetzen artikulieren kann. Zu Beginn holt Molly ihn aus seinem heruntergekommenen New Yorker Apartment, um ihn zu zwei Arztbesuchen zu begleiten.
Gezeigt wird dieser zunächst banal anmutende Tag nun aber auch aus der Perspektive des Vaters. Eine sehr reizvolle Idee, denn schon viele Angehörige haben sich wohl einmal gefragt, was im Kopf eines Erkrankten
vorgeht. So findet sich Leo in seiner Wahrnehmung immer wieder abrupt auf anderen Wegen seines Lebens wieder. In einem lebt er mit seiner Jugendliebe Dolores (Salma Hayek) in Mexiko zusammen, die Beziehung ist aber von starken Spannungen geprägt. In einem anderen hat sich der Schriftsteller auf eine griechische Insel zurückgezogen, um endlich seinen Roman fertigzustellen. Dort trifft er auf eine deutsche Touristin, die ihn an seine zurückgelassene Tochter erinnert. Zwischendurch
sieht man Leo auf seinem Weg von Mexiko in die USA.
Viel konkreter wird es meist nicht und auch am Ende des Films gibt es zwar ein paar Hinweise, aber keine große Wendung, die alles zusammenführt. Das macht den Film zu einer sehr fordernden und für viele Zuschauer wohl auch letztlich unbefriedigenden Erfahrung. Immerhin überzeugen die teils an Terrence Malick erinnernden Bilder, und auch die beiden Hauptdarsteller geben ihr Bestes. Javier Bardem betritt hier vertrautes
Terrain, schließlich hat er bereits vor gut 15 Jahren als Schwerkranker in „Das Meer in mir“überzeugt. Der Oscar-Gewinner von damals bleibt im direkten Vergleich zu Potters Werk aber der klar sehenswertere Film.