Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mit Rückenwind über die Albhöhen
Immer auf dem richtigen Weg dank navigationsgesteuerter Routen
Die 14-jährige Fea sitzt bestens gelaunt im Sattel ihres schwarz-gelben E-Bikes und freut sich: „Da vorne geht es hoch.“Im Turbo-Gang ihres Pedelecs fährt sie mit Vollgas der Steigung entgegen. In NullKommaNichts hat sie von Münsingen aus den ehemaligen Truppenübungsplatz erreicht – das Herzstück des rund 85 000 Hektar großen Biosphärengebiets Schwäbisch Alb, das zum Unesco-Weltkulturerbe zählt.
Für die Einzigartigkeit der Gegend hat Fea allerdings keinen Blick. Die Kulturlandschaft, die jahrzehntelang militärisch genutzt wurde, kennt keine Siedlungen und Flurbereinigungen, weder Straßenbau noch intensive Landwirtschaft. Heute werden die großen Weidegebiete von Schafen vor Verbuschung geschützt. Aber selbst die blökenden Lämmer und der zottelige, schwarze Hirtenhund lassen Fea nicht langsamer werden. Sie genießt die Beschleunigung, den sanften Push des leistungsfähigen Elektromotors. Nur schade, dass der sich bei der Höchstgeschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde automatisch abschaltet – dann zählt doch wieder die Muskelkraft. Das Fahrgefühl ist vergleichbar mit beständigem Rückenwind – ein bisschen wie fliegen ohne dabei abzuheben. Das zufriedene Grinsen auf Feas Gesicht fährt bei Familientouren mit gewöhnlichen Rädern nicht unbedingt mit.
Dabei musste heute Morgen erst einmal im Internet nachgeschaut werden, ob denn Jugendliche überhaupt schon Pedelec fahren dürfen – dürfen sie! Es gibt nur eine Empfehlung, die eine Nutzung im Straßenverkehr ab 14 Jahren vorsieht. „Ich bin überrascht, wie oft unsere Kinder-Pedelecs nachgefragt werden“, sagt Jürgen Schwald, der seit der Eröffnung 2016 das E-Mobilitätszentrum am Münsinger Bahnhof betreibt. Er zeigt auf ein 24-Zoll-Rad mit einer Höchstgeschwindigkeit von 20 Kilometern pro Stunde. Sonntagmorgens zwischen 9.30 und 11.30 Uhr hat Schwald an regenfreien Tagen alle Hände voll zu tun: „Dann sind meistens alle Pedelecs, Kindersitze und Anhänger reserviert.“Das Ehepaar aus Norddeutschland hat Glück und bekommt aufgrund einer Stornierung spontan zwei Räder. Schwald rät ihnen zur Tour 3, die ohne die Abstecher nach Gruorn, einigen Aussichtspunkten und dem 42 Meter hohen Hursch (nur für Schwindelfreie) 42 Kilometer lang ist und ebenfalls durch das Gelände des Truppenübungsplatzes und die Trailfinger Schlucht führt. Schwald erklärt den Bosch-Bordcomputer Nyon – das Navigationssystem hält die Radler auf der richtigen Strecke. Ein Verfahren ist mit dieser neuen Technik fast unmöglich. Dann gibt es noch das Sicherheitspaket mit Ladegerät, Pflastern, Schloss, Pannenschutz und Notfallnummern. Und die Nordlichter können losradeln – nicht ohne Radhelm allerdings. Denn auf den zwölf empfohlenen
Touren rund um Münsingen, die insgesamt etwa 700 Kilometer lang sind, sorgt ein Helm für mehr Sicherheit.
Mit Unterstützung von Bosch-EBike-Systems hat die Stadt Münsingen das Pilotprojekt mit dem Navigations-Bord-Computer vor drei Jahren realisiert. Auf der Stuttgarter Messe CMT (Caravan, Motor, Touristik) bekam das Mobilitätszentrum Münsingen den ersten OutdoorAward Baden-Württemberg verliehen.
Inzwischen hat sich die 14-Jährige zur Rast in Gruorn überreden lassen. Nachdem bekannt wurde, dass der 1895 errichtete Truppenübungsplatz erweitert werden sollte, wurde der Ort in den 1930er-Jahren geräumt. Die 665 Einwohner bekamen zwei Jahre Zeit, um ihre Heimat zu verlassen. Heute stehen nur noch die Stephanuskirche und das Schulhaus, in dem auch ein kleines Museum untergebracht ist. Ein kurzer Blick in die Geschichte von Gruorn und in die Kirche, dann geht es auch schon flott weiter.
Es macht Spaß, Rennradler am Berg mühelos zu überflügeln. Von den Bänken am Albtrauf sieht man direkt auf die Ruine Hohenwittlingen und hinab nach Seeburg. Nach einer langen Abfahrt geht es durch
Sommerzeit die Trailfinger Schlucht noch ein letztes Mal nach oben. Die Felswände und die Quellweiher der Erms sorgen für ein angenehm kühles Klima. Viel zu schnell kommt der Bahnhof in Sicht. Schade, dass die Räder im Mobilitätszentrum bleiben müssen und daheim nur ein Fahrrad ohne eingebauten Rückenwind wartet. Gäbe es doch noch so viele Touren über die Schwäbische Alb zu entdecken.