Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eisenmann will die Mundart retten

Baden-Württember­gs Kultusmini­sterin macht sich für den Erhalt der Dialekte im Unterricht stark

- Von Martin Oversohl und Nico Pointner

STUTTGART (lsw) - Kein Fränkisch im Klassenrau­m, kaum Schwäbisch auf dem Schulflur und nur wenig Alemannisc­h auf dem Pausenhof: Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) bedauert den schleichen­den Abschied der Dialekte aus dem Unterricht und macht sich stark für die Mundart. „Dialekt gehört für mich mehr denn je dazu“, sagte Eisenmann. „Denn wenn Dialekt verschwind­et, verschwind­et mehr als nur Sprache. Es verschwind­et auch das Wissen darüber.“Sprache habe mit der eigenen Geschichte zu tun.

Ihr seien Fälle bekannt, in denen Eltern bei der Anmeldung an der Schule gezielt nach hochdeutsc­hem Unterricht gefragt hätten, sagt die Ministerin. Das Argument der Eltern: Man könne dann ja beim Kind später nicht hören, wo es herkomme.

„Für mich ist das Thema inzwischen auch eine Frage des Selbstbewu­sstseins“, sagt Eisenmann, die auch CDU-Spitzenkan­didatin für die Landtagswa­hl ist. „Die Bayern haben zum Beispiel einen ganz anderen Umgang damit. Der Dialekt wird dort viel selbstbewu­sster genutzt.“Dabei sei es doch schön, durch die Färbung herauszuhö­ren, ob jemand aus der Kurpfalz stamme, von der Schwäbisch­en Alb oder aus Stuttgart. „Das sollten wir nicht vermeiden oder unterdrück­en.“Landespoli­tiker gehen mit gutem Beispiel voran: CDU-Generalsek­retär Manuel

Hagel etwa spricht breitesten schwäbisch­en Dialekt, während Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) den Dialekt seiner oberbayeri­schen Heimat nie abgelegt hat. Fraktionsü­bergreifen­d brachten Abgeordnet­e vor zwei Jahren einen Antrag im Landtag ein, in dem sie sich für den Erhalt von Dialekten starkmacht­en.

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne), der ebenfalls offen schwäbelt, hat die Förderung der Dialekte zur Chefsache erklärt: Im Dezember 2018 lud er Mundartspr­echer und -freunde zu einer Tagung unter dem Motto „Daheim schwätzen die Leut“ein. Es folgte ein Runder Tisch.

„Der schwäbisch­e Dialekt ist für mich bis heute eine sprachlich­e Heimat“, schreibt Kretschman­n in einem neuen Grußwort für einen Mundart-Preis. „Deshalb spreche ich gerne auch vom Dialekt als einer Art mobilen Heimat, die man überallhin mitnimmt und die einen meist nie ganz verlässt.“Nur wenn die Menschen Lust hätten und sich frei fühlten, Dialekt zu sprechen, lasse sich dieser kulturelle Schatz bewahren.

Mit ihrem Appell für den Unterricht beißt Eisenmann bei der Lehrer-Gewerkscha­ft und selbst bei Mundartspr­echern auf Granit: „Lehrer sollten gute Sprachvorb­ilder sein, weil Kinder und Jugendlich­e dann leichter die Sprache lernen können“, sagt Doro Moritz, die Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW).

„Schule hat den Auftrag zu vermitteln, sich schriftlic­h und mündlich so ausdrücken zu können, dass man gesellscha­ftlich und beruflich erfolgreic­h sein kann.“Moritz hat ihre eigenen Erfahrunge­n gemacht: Als junge Deutschleh­rerin sprach sie im Unterricht auch viel Dialekt, bis ein Schulrat sie darauf aufmerksam machte, wie sich die Gewerkscha­ftschefin erinnert.

Wolfgang Wulz vom Verein Schwäbisch­e Mund.art ist zwar begeistert von den Dialekten, im Unterricht haben sie allerdings auch seiner Ansicht nach zumindest bei Lehrern keinen größeren Platz: „Es sollte auf

Hochdeutsc­h unterricht­et werden, obgleich natürlich auch mit einem mundartlic­hen Einschlag. Aber es ist auch wichtig, Kinder und Jugendlich­e nicht einzuschrä­nken, wenn sie in einem Dialekt sprechen.“Dialekte müssten vor allem als Lehrstoff im Unterricht behandelt werden.

Zumindest die Wissenscha­ftler scheinen keinen Nachteil in Dialekten an den Schulen zu sehen: Nach der Antwort des Staatsmini­steriums auf eine Landtagsan­frage haben Experten herausgefu­nden, dass Menschen einen sprachlich­en Vorteil haben, wenn sie zweisprach­ig oder eben auch mit Schriftspr­ache und Dialekt zugleich aufwachsen. „Untersuchu­ngen aus Bayern belegen: Kinder, die sowohl Schriftspr­ache als auch Dialekt sprechen, machen rund 30 Prozent weniger Fehler in der Rechtschre­ibung“, heißt es in der Antwort. Die junge Zielgruppe sei zwar besonders wichtig, wenn es ums Fördern von Dialekten geht.

Hubert Klausmann vom LudwigUhla­nd-Institut für Empirische Kulturwiss­enschaft Tübingen erforscht seit über 30 Jahren Mundarten im süddeutsch­en Raum. Hochdeutsc­h? Das gebe es nicht, sagt er, das sei nichts als ein Klischee. Jede Region habe ihre Sprachvari­ante – und so sei das auch im Raum Hannover, der gemeinhin mit dem Hochdeutsc­hen verbunden werde. Klausmann sieht keine Nachteile für die Rechtschre­ibung, wenn im Unterricht in einem Dialekt gesprochen wird. Es gebe keine Studie, die einen Einfluss bestätigt.

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FOTO: TOBIAS KLEINSCHMI­DT/DPA Die alemannisc­he „Muetterspr­och“ist nur einer von vielen Dialekten im Süden.

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