Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Claudia Kling für Peter Scholl-Latour Preis nominiert
Reportage über das Leid missbrauchter jesidischer Frauen erfährt Anerkennung und Lob
Vielen, vielen Dank nach Deutschland!“Faruk und Hadia Khalaf haben in diesen Tagen zwar alle Hände voll zu tun. Nach Jahren im nordirakischen Flüchtlingscamp Sheikhan ist das Ehepaar mit seinen vier Kindern ins heimatliche Shingal-Gebirge zurückgekehrt, aus dem die Familie vor sechs Jahren von der Terrormiliz „Islamischer Staat“vertrieben worden war. Faruk Khalaf und sein Bruder errichten dort schon Gewächshäuser, um Gurken anbauen zu können. „Aber wir wollen unbedingt unseren deutschen Freunden danken, die uns im Camp Sheikhan geholfen haben und auch jetzt helfen“, lässt der 38-jährige Familienvater ausrichten. Etwa 400 000 Menschen, die allermeisten von ihnen gehören der religiösen Minderheit der Jesiden an, waren vertrieben worden und hatten in Kurdistan Zuflucht gefunden. Jetzt können die ersten Familien zurückkehren, etwa 20 000 Personen sind bereits in den Dörfern rund um den Höhenzug, der zwischen der Millionenstadt Mossul und der irakischsyrischen Grenze liegt, angekommen. Es sind Dörfer mit einer schrecklichen Vergangenheit. Erst vor Kurzem waren beispielsweise in der Ortschaft Koyo Massengräber entdeckt worden: Opfer des IS-Überfalls.
Doch die Rückkehrer wollen nach vorne schauen, der Wiederaufbau läuft an. Während Faruk und Hadia Khalaf ihre Gewächshauser aufbauen, werden in vier Dörfern des Shingal-Gebirges insgesamt 200 Wasserbehälter an Familien verteilt, die ebenfalls zurückgekehrt sind, deren Häuser aber während des Krieges zerstört worden waren. Die Leserinnen und Leser der „Schwäbischen
Zeitung“hatten für diese Aktion im Juli spontan gut 21 000 Euro gespendet. In diesen Tagen gehen Ehrenamtliche in den Dörfern von Haus zu Haus, nehmen die Schäden auf, erkundigen sich, welche Hilfe wo am dringendsten gebraucht wird. „Viele Familien haben keine eigenen finanziellen Mittel mehr“, erklärt Thomas Shairzid von der Caritas-Flüchtlingshilfe Essen, die mit der „Schwäbischen Zeitung“seit 2016 zusammenarbeitet, „aber sie wollten zurück in die Heimat und bauen jetzt ihre Dörfer wieder auf. Dafür brauchen sie Wasser, denn Wasser bedeutet Leben.“Bis zu 41 Grad zeigt das Thermometer – im Schatten. Die ehrenamtlichen Helfer der Flüchtlingshilfe, zwölf junge Jesiden, bestellen die Wassertanks und nehmen sie mit einer Erstbefüllung sofort in Betrieb.
1500 Liter Wasser fasst ein Tank, der vor Ort geschweißt wird: „Damit schaffen wir auch Arbeitsplätze im Land“, weiß Shairzid. Die Pumpen an den Dorfbrunnen – so sie schon wieder installiert wurden – sind nur an drei oder vier Stunden am Tag in Betrieb: „Neben Wassermangel herrscht an vielen Orten auch Strommangel.“In dieser kurzen Zeit müssen die Familien ihre Wassertanks füllen. Shairzid erklärt: „Wo es keinen Strom gibt, kommen alle drei bis vier Tage Tankwagen und füllen die Tanks, damit die Familien Wasser zum Kochen und Waschen haben.“
Dass die Jesiden in ihre Heimat zurückkehren können, um die sich bisher Kurden, Iraker, iranisch beherrschte Milizen und die PKK gestritten haben, ist auch ein Verdienst der neuen irakischen Ministerin für Flüchtlingsfragen, Eva Yakoub Jabro (39), eine chaldäische Christin. Jabro ist eine ehemalige Beraterin des Gouverneurs von Mossul, war für Minderheitenfragen zuständig. Bei den irakischen Wahlen im Mai 2018 hatte sie sich als Kandidatin für einen der fünf Sitze beworben, die nach einem QuotenSystem christlichen Minderheiten vorbehalten sind. „Jabro hat es geschafft, alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen und davon zu überzeugen, dass es besser ist, wenn die Jesiden zurückkehren“, erklärt Thomas Shairzid die neue Lage. Auch habe der neue Regierungschef des Irak, Mustafa alKadhimi, die Rückkehr der Flüchtlinge
zur Chefsache gemacht und im Shingal-Gebirge ein Verbindungsbüro eröffnet.
Die Rückkehr gestaltet sich logistisch freilich schwierig: Erst an diesem Montag hatten die kurdischen Behörden wegen der Corona-Pandemie eine Ausgangssperre aufgehoben. Täglich werden in dem Land, in dem etwa 38 Millionen Menschen leben, bis zu 4000 Neuinfektionen gemeldet. Und auch die Bundeswehr, die als Teil des
Die Leiterin des Politikressorts, Claudia Kling, ist für den Peter Scholl-Latour Preis nominiert worden. Der Preis wird alljährlich von der Ulrich Wickert Stiftung für die Berichterstattung über das Leid von Menschen in Krisen- und Konfliktgebieten vergeben und gehört zu den wichtigsten Auszeichnungen der Medienbranche.
Kling war es im vergangenen Jahr gelungen, zum ersten Mal eine junge Jesidin zu interviewen, die von der Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) entführt worden war. 7000 Frauen waren verschleppt worden, als der IS 2014 über die Dörfer im Shingal-Gebiet herfiel, 3000 von ihnen sind laut Yazda, einer jesidischen Organisation, immer noch in Gefangenschaft. Die damals 23-Jährige hatte rund viereinhalb
Jahre in IS-Gefangenschaft internationalen Einsatzes gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) stationiert ist, ist betroffen: Im „Camp Stephan“in der nordirakischen Kurdenhauptstadt sind sechs deutsche Soldaten mit dem Coronavirus infiziert worden. „Die Soldaten befinden sich in isolierter Unterbringung in separaten Containern“, teilte das Einsatzführungskommando am Dienstag den Obleuten im Bundestag mit. Die Soldaten sollten demnach „zeitnah“nach
verbracht. Sie war viermal schwanger, hat drei Kinder lebend zur Welt gebracht, eines davon lebt jetzt bei ihr. Der Mutter und ihrer kleinen Tochter wurde nach ihrer Befreiung die Rückkehr in die jesidische Gemeinde verweigert. Sie leben in einem der Camps im Nordirak, für die sich die Leserinnen und Leser der „Schwäbischen Zeitung“seit 2016 engagieren. Ulrich Wickert würdigt mit dem Journalistenpreis seiner Stiftung Medienbeiträge, die das öffentliche Bewusstsein für die Rechte von Kindern stärken. Zusammen mit einer hochkarätig besetzten Jury nominierte er zwei Journalistinnen und drei Journalisten – unter ihnen ist Claudia Kling – für den Peter SchollLatour Preis.
Deutschland zurückgeflogen werden. Bis dahin würden die Krankheitsverläufe vor Ort in Erbil vom Sanitätspersonal beobachtet. Auch die Kontaktpersonen der Soldaten wurden getestet.
Zurück zu den Flüchtlingen: Während die Jesiden nach und nach zurückkehren, haben die aus Mossul vertriebenen Christen derzeit überhaupt keine Aussichten auf Rückkehr in ihre Heimatstadt – und konnten wegen der Ausgangssperre in den vergangenen Monaten keine Arbeit annehmen, also auch kein Geld verdienen. „Wir haben aus Akre, zwischen Erbil und der türkischen Grenze, Hilferufe erhalten und haben dort an 200 Familien Lebensmittelpakete verteilt“, berichtet Thomas Shairzid, „auch dies war nur möglich, weil wir noch über Spendengelder aus der Aktion ,Helfen bringt Freude’ verfügen konnten.“
120 000 Christen waren im August 2014 von der Terrormiliz „Islamischer Staat“in Mossul und der Ninive-Ebene aus ihren Häusern vertrieben worden. Mithilfe von Spenden ist es den Kirchen zwar gelungen, die Häuser jener wiederaufzubauen, die wieder dort leben wollten. Nach Angaben des Patriarchen, Kardinal Louis Raphael I. Sako, sind inzwischen rund 40 Prozent der vertriebenen Christen in ihre Heimatstädte zurückgekehrt. Aber jene Christen aus Mossul sehen keine Chance auf Rückkehr, sodass der Patriarch jetzt erneut die Regierung in Bagdad zu Reformen mahnte.
Bleibt die Frage: Wie gestaltet sich die Zukunft der Flüchtlinge, die ins Shingal-Gebirge zurück wollen? „Jeden Tag stellen 60 bis 70 weitere Familien den Antrag, aus den Camps in die Heimat zurückzugehen“, sagt Thomas Shairzid, „sie brauchen weiter Starthilfe wie Wassertanks oder Gewächshäuser.“Die Caritas-Flüchtlingshilfe Essen könne helfen, sei aber auf die Spenden der Leserinnen und Leser der „Schwäbischen Zeitung“angewiesen – jetzt und auch im Rahmen der Weihnachtsspendenaktion.
In den Camps Mam Rashan und Sheikhan geht die Arbeit weiter: Dort leben noch immer Tausende Menschen ohne Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung, Bildung oder Arbeit. Erst am Dienstag wurden dort auf Bitten des weltlichen Oberhauptes der Jesiden 100 Lebensmittelpakete an alleinstehende und damit mittellose jesidische Frauen, die aus der Gefangenschaft des IS befreit worden waren, verteilt. Diese Not wird bleiben – auch wenn sich viele Jesiden auf den Rückweg machen. „Wir werden sie nicht vergessen“, verspricht Shairzid, „und darum bitten wir auch die Menschen in Südwestdeutschland!“