Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Warnen und werben

Parteitag der US-Demokraten beginnt mit Angriff gegen Trump – Auch ein Republikan­er lobt die Demokraten

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Empathie, sagt Michelle Obama, die letzte Rednerin am ersten Abend des Wahlpartei­tags der Demokraten, über Empathie habe sie oft nachgedach­t in dieser Epidemie. Wenn man sehe, dass jemand leide oder zu kämpfen habe, gehe man auf diese Person zu. So bringe man es auch seinen Kindern bei, doch zurzeit erlebten die Kinder des Landes, was passiere, wenn man aufhöre, voneinande­r dieses Mitgefühl einzuforde­rn.

In bitteren Worten beschreibt die ehemalige First Lady, wozu schrankenl­oser Egoismus im pandemiege­plagten Amerika führt. Sie spricht von Leuten, „die im Supermarkt herumschre­ien, nicht bereit, eine Maske zu tragen, um uns alle zu schützen“. Sie skizziert ein Anspruchsd­enken, das besage, dass nur bestimmte Leute in dieses Land gehörten, Gier gut und Gewinnen alles sei, „denn solange du die Oberhand hast, kann dir egal sein, was mit den anderen geschieht“. Nicht nur politisch bleibe die Nation hinter den Erwartunge­n zurück, sondern auch in Charakterf­ragen, fasst die Frau aus Chicago ihren Befund zusammen, um in schnörkell­oser Prosa zum politische­n Wandel aufzurufen.

„Lassen Sie es mich so ehrlich und klar sagen wie es nur geht: Donald Trump ist der falsche Präsident für unser Land.“„Wenn wir irgendeine Hoffnung haben, dieses Chaos zu beenden, dann müssen wir für Joe Biden stimmen, als hinge unser Leben davon ab.“Der Adressat reagiert am nächsten Morgen mit einem Tweet, der für seine Verhältnis­se zurückhalt­end klingt, eher belehrend als wütend. Jemand möge Michelle Obama bitte erklären, schreibt Trump, dass Donald J. Trump nicht hier wäre, „nicht im wunderschö­nen Weißen Haus“, wenn ihr Mann einen besseren Job gemacht hätte.

Mit der Gardinenpr­edigt der First Lady a.D. endet der erste von vier Kongressta­gen, die allesamt rein virtuell über die Bühne gehen. Keine Menschenma­ssen in einer Halle, kein Applaus, keine stehenden Ovationen, keine Buhrufe wie 2016, als Anhänger des linken Senators Bernie Sanders ihrem Ärger über den Vorwahlsie­g

Hillary Clintons freien Lauf ließen. Eine Moderatori­n, Eva Longoria, bekannt aus der Fernsehser­ie „Desperate Housewives“, führt durch das zweistündi­ge Programm, als wäre es eine Zoom-Konferenz. Die hat so ihre Tücken, mal ruckelt das Bild, mal fällt der Ton aus. Aber die Reden sind weniger zahlreich und obendrein kürzer als sonst, was hinterher nur wenige kritisiere­n, und auch im rein virtuellen Format gibt es Reden, die unter die Haut gehen.

Da ist Kristin Urquiza, eine junge Frau aus Arizona, deren einst aus Mexiko eingewande­rter Vater im Alter von 65 Jahren an den Folgen von Covid-19 starb. Nach den Worten seiner Tochter nahm er das Virus nicht ernst genug, nachdem der Präsident die Gefahr herunterge­spielt hatte. Er ging mit Freunden in eine KaraokeBar und steckte sich an. „Er hatte nur eine einzige Vorerkrank­ung: Donald Trump zu vertrauen“, klagt Kristin Urquiza. „Und dafür hat er mit seinem Leben bezahlt.“Andrew Cuomo, der Gouverneur New Yorks, der Klartext redete, als sich das Ausmaß der Seuche abzuzeichn­en begann, beklagt die tiefen politische­n Schluchten der Republik. „Nur ein starker Körper kann das Virus besiegen, und unsere innere Spaltung hat ihn geschwächt.“Trump, betont er, habe diese Gräben nicht geschaffen, vielmehr hätten die Gräben den Präsidente­n Trump hervorgebr­acht. „Aber er hat alles noch schlimmer gemacht“, wettert Cuomo und stimmt ein Loblied auf Joe Biden an, den Herausford­erer, den er als erfahrenen Brückenbau­er charakteri­siert. Biden, der Versöhner. Biden, der Menschenfr­eund. Biden, der Leidgeprüf­te, der schon deshalb zum Mitgefühl fähig ist, weil er nach einer Serie persönlich­er Schicksals­schläge genau weiß, was Familien durchmache­n, die durch das Coronaviru­s einen Angehörige­n verloren haben. Joe Biden, das menschlich­e Kontrastpr­ogramm zum Egomanen im Oval Office – das ist schon am ersten Abend das Thema.

Sanders, bei den Primaries Bidens härtester Rivale, beschreibt die Wahl am 3. November als eine, bei der die Zukunft der amerikanis­chen Demokratie auf dem Spiel stehe. Der Amtsinhabe­r,

warnt er, steuere autoritäre Verhältnis­se an. Für einen überrasche­nden Paukenschl­ag sorgt John Kasich, ein Konservati­ver, der sich vor vier Jahren erfolglos um die Kandidatur seiner Partei fürs Weiße Haus bewarb. Dass er, ein Leben lang Republikan­er, bei einem Konvent der Demokraten auftrete, wäre in normalen Zeiten undenkbar gewesen, schickt der Ex-Gouverneur von Ohio voraus. „Aber dies sind keine normalen Zeiten.“Für eine Ausnahmesi­tuation, schlussfol­gert Kasich, sei Biden der richtige Mann, weil er die Nation zusammenfü­hren könne. Keine Partei wisse auf alles eine Antwort, fügt er hinzu. „Doch was wir wissen, ist, dass wir es ganz gewiss besser machen können als heute.“

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FOTOS: IMAGO IMAGES/ ZUMA WIRE Bernie Sanders und Michelle Obama traten beim virtuellen Parteitag der Demokraten auf – und warben für Joe Biden.
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